Donnerstag, 26. August 2010

Die goldene Sonne Kaliforniens

Die goldene Sonne Kaliforniens

Ich kam 1823 als Gustav Friedrich von Freyenhausen zur Welt. Früh schon hielten meine Eltern mich für einen Taugenichts. Ich hatte viele Ideen in meinem Kopf doch leider passten sie nicht zu meinem Stande. Im Jahre 1843 hatte mein werter Vater endlich die Schnauze voll von mir. Er buchte ohne mein Wissen eine Schiffspassage in die neue Welt, verfrachtete mich zum Kai. Versehen mit einer bemerkenswerten Abfindung sollte ich mein Glück in der neuen Welt suchen.

Offenbar hatte der alte Herr doch Gewissensbisse seinen zweiten Sohn so einfach in die Welt zu werfen. Zu meiner Schande musste ich eingestehen, es hatte mich nicht im Geringsten gereut zu gehen. Mein alter Herr hatte es dennoch für notwendig gehalten mich nach Kalifornien zu einem alten Freund zu schicken. Der werte Herr hatte einen Zeitungsverlag in San Francisco.

Ich war bei meiner Ankunft ein wenig enttäuscht, San Francisco hatte nicht einmal 1.000 Seelen zu bieten. Das Amüsement war eher bescheiden und die Damen auch nicht gerade die erste Wahl. In meinem Hotelzimmer waren die Wanzen und es war keineswegs als sauber zu bezeichnen. War ich etwa in der Welt des Teufels gelandet? Nein!

Es sollte noch viel schlimmer kommen, doch dies wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht. So begab ich mich zu meinem Antrittsbesuch bei diesem Verleger. Ich hatte eigentlich eher den Müßiggang und die Lasterhaftigkeit auf meine Fahne geschrieben. Leider musste ich gleich bei meinem Gespräch mit dem werten Verleger einem Schweizer feststellen, mein alter Herr versuchte diesem Drang einen Riegel vorzubauen. Das Ansinnen an mich war keineswegs unverschämt, ich sollte als Redakteur arbeiten und zusammen mit einem Fotografen vernünftige Artikel für die Zeitungen in Europa erarbeiten.

Der Fotograf hieß Maurice Chevalier und war wie der Name schon andeutete Franzose. Dieser Umstand machte ihn mir gleich sympathisch, ein Franzose verstand zu leben. Ich sollte noch lernen, dass es Unterschiede gibt in der Auffassung wie man lebte.

Um es kurz zu machen, ich nahm die Herausforderung an. Mein größter Wunsch war es diesem Hotel zu entkommen und so musste ich mir dringend eine standesgemäße Unterkunft suchen. Es sollte sich in meinem Leben ein neues Dach finden auf eine äußerst originelle Art. Während ich wieder einmal enttäuscht von einer möglichen Wohnstätte zurück zu meinem Hotel lief, war das Schicksal an meiner Seite.

Erst roch ich ein angenehmes Parfüm und dann nahmen meine Augen eine Dame wahr. Ja, sie war eine Dame vom Kopf bis zum Fuß. Was ich noch sah waren zwei Flegel, die sicher nichts Gutes im Sinn hatten. Sie hielten die Dame an und versuchten ihr den Weg zu versperren, dabei machten sie sehr eindeutige Angebote. Ein Mann mit Ehre und Anstand kann solches Treiben nicht tatenlos geschehen lassen.

Ich stellte mich den Herren vor und bat sie die Dame in Ruhe zu lassen. Es gelang mir dem ersten Schlag auszuweichen und dann stürzte sich einer der beiden Flegel auf mich. Es kam zu einer wilden Rauferei.

Unterdessen wollte der zweite Flegel der Dame unter den Rock fassen. Solches hätte er besser gelassen. Das nachfolgende Ereignis gereichte einer Dame zum Ruf als Miss Unnahbar. Die Dame trat ihn an seine empfindlichste Stelle und schlug ihm mit ihrer rechten Faust an die Schläfe. Der Bursche fiel wie ein Sack zu Boden.

Sein Kumpel ließ von mir ab und starrte überrascht auf den am Boden liegenden Freund. Eine Frauenstimme sagte laut und deutlich. „Wenn diese üblen Burschen nicht Land gewinnen, dann schieße ich euch die Männlichkeit ab!“

Sie hielt einen Revolver in der Hand und das Funkeln ihrer Augen und die Zornesröte in ihrem Gesicht, fand zumindest ich einfach nur toll. Eine Menschenmenge hatte sich mittlerweile gebildet und klatschte Beifall.

Miss Maureen hatte sich Respekt verschafft und nicht nur solches, die Männer ließen sie ab diesem Tage in Ruhe. Während die Menschenmenge sich auflöste und ich aus dem Dreck der Straße auferstand, überkam mich ein gewisses Gefühl der Scham.

Ich klopfte an meiner Kleidung den Staub ab, dann sah ich wie die Dame mich musterte. Verlegen suchte ich dem Blick auszuweichen.

„Herr von Freyenhausen macht es ihnen Spaß sich wie ein Schwein im Dreck zu wälzen?“ Es waren Peitschenhiebe und sie trafen bis auf das Knochenmark. Woher kannte sie meinen Namen? Sie winkte mich herbei wie einen Lakai. „Folgen Sie mir, immerhin ist eine Reinigung von Nöten.“

Ich folgte ihr in ein echtes Haus aus Steinen gemauert, ein herrschaftliches Gebäude. Eine schwarze Perle sah mich kopfschüttelnd an. „Miss Maureen, soll der etwa?“
Die Dame blickte sie streng an. „Ja! Der soll und ich möchte keinen weiteren Kommentare hören. Herr von Freyenhausen hat schließlich für meine Ehre gekämpft.“

Ich wurde in eine Badewanne gesteckt, es war das schönste Gefühl seit meiner Abreise aus Europa, wenn ich etwas vermisst hatte; dann war es die geeignete Badestelle. Ich kleidete mich in neue saubere Kleidung. Woher sie kam war mir in diesem Moment unwichtig. Einige Zeit später führte mich die schwarze Perle in den Salon.

Maureen Ó Cinnéide war die Tochter eines angesehenen Bankers mit irischen Wurzeln. Während ich ihre Schönheit bewunderte, reichte ihr Vater mir die Hand. Ich war so gefangen von diesem Anblick, dass ich dabei meine Umwelt vergessen hatte.

Wir speisten zu Abend und Mister Ó Cinnéide fand die Konversation mit mir sehr angenehm. Bei einem Glas Whisky vor dem Kamin nahm ich die Einladung in seinem Haus zu wohnen dankend an. Diese Entscheidung war wohl die Klügste in meinem ganzen Leben.

Während ich meine zarten Bande zu Maureen webte, brach um uns herum die Hölle los. Innerhalb von nur 2 Jahren wuchs unser San Francisco um das 25-fache. Das Zauberwort hieß Gold. Die Menschen stürmten unsere Stadt und die Kaufleute erhöhten die Preise.

Maurice Chevalier und meine Schreibkunst standen plötzlich hoch im Kurs. Unsere Berichte über den Goldrausch fanden reißenden Absatz. Erstaunlich war dabei, kein einziger Verlag fragte uns, wie es uns möglich war so viele Nachrichten in die Welt hinauszuposaunen. Alle Welt war nur noch fasziniert von dem glitzernden Gold.

Die Bank von Mister Ó Cinnéide wurde über Nacht zur mächtigsten Bank des Südens Amerikas. Das Leben hatte aber auch Schattenseiten zu bieten, in den Jahren 1849 bis 1851 brannte San Francisco insgesamt sechs Mal ab.

Na ja, nicht die ganze Stadt, aber die ganzen Holzhäuser und die dichtgedrängten Armenbehausungen schon. Maurice und ich hatten uns derweil so in die Arbeit gestürzt und begonnen die Welt mit Nachrichten zu versorgen, wir merkten nicht einmal mehr wie die Zeit verflog.

Lediglich Maureen erinnerte mich an ein anderes Leben. Maureen hatte es plötzlich unheimlich eilig aus San Francisco zu ziehen. Sie bestand auf die Ehe und ein Haus außerhalb der Stadt. Zugegeben die Ehe war überfällig, nur mit dem Bau eines Hauses außerhalb der Stadt zögerte ich noch. Diese Frau kannte kein Erbarmen, alle meine Einwände wurden von ihr in der Luft zerpflückt.

Am Ende kam es wie es kommen musste, wir bauten ein neues Haus weit von San Francisco weg. Wir zogen sozusagen auf das Land. Der Alte Ó Cinnéide fand es gut. Mein Freund und Partner Maurice fand es schlecht. Er wollte nicht weg von seiner Stadt.

Die Nächte voller Abenteuer und ständig in den Armen anderer Frauen, hatten ihm die Syphilis beschert. Nun war ich voller Dankbarkeit, Liebe und Wärme für jene Frau die mir dieses Schicksal erspart hatte. Ich trug Maureen auf Händen, es war mir schlagartig bewusst geworden, welches großartige und einzigartige Geschöpf ich an meiner Seite hatte.

Wir wohnten jetzt auf dem Land und in der Stadt breiteten sich immer mehr die Flöhe und Ratten aus. Die Hygiene war in der schnellwachsenden Stadt kein Thema mehr.

Wie goldrichtig die Entscheidung meiner Frau war, wurde uns im Winter des Jahres 1851 vor Augen geführt. Ein Schreckgespenst hatte die Stadt ergriffen, die Cholera. Der Tod zog durch die Straßen und machte reichlich Beute. Er verschonte auch meinen Freund Maurice nicht.

Des einen Leid des anderen Freud. An diesem Spruch stimmt vieles, während ein Großteil der Bevölkerung in Kalifornien verstarb, ging es uns blendend.

Meine Frau gebar vier Kinder und ich hatte endlich beschlossen anständig zu werden. Ich war in der Bank meines Schwiegervaters zum Stellvertretenden Präsidenten aufgestiegen.

Unsere große Zeit kam erst. Wir bauten nun unsere Bank, das Bankhaus Ó Cinnéide & von Freyenhausen zu einer der mächtigsten Banken der Welt. Wir beteiligten uns an Minengesellschaften, Eisenbahnen und Fabrikationen. Die Nähe zum Pazifik brachte uns ebenso auf die Idee uns eine Schiffsflotte zu zulegen.

So wurden wir ohne selbst nach Gold gesucht zu haben dennoch Gewinner des Goldrausches in Kalifornien.

© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Mittwoch, 25. August 2010

Das Land der Zauberfeen

Märchen vom Autor des Romans „ Das Chaos

Das Land der Zauberfeen

Es war einmal zu einer Zeit da war die Welt noch mit einer wahren Fülle von Naturschönheiten ausgestattet.

Die Jahreszeiten waren noch Jahreszeiten und begegneten einander in Hochachtung. Nie wäre es der Frau Holle eingefallen, ihre Bettwäsche im Frühling auszuschütteln. Nein! Solches tat sie nur zur Zeit des Herrn Winters. Im Frühling war es die Aufgabe der Zauberfeen, das Land in ein Meer aus Blüten zu verwandeln.

Das Wasser aus den Felsquellen war glasklar und in den Bächen tanzten die Bachforellen. Mutig versuchten die Frösche ihr erstes Frühlingskonzert. Die Zauberfeen badeten im Wasser und lauter kleine Sternchen umgaben sie. Schlugen sie mit ihren zarten Händen, voller Freude jauchzend, auf die Wasseroberfläche, breiteten sich Fontänen aus kleinen, goldenen Sternchen um sie herum aus. Anschließend entstiegen sie dem Wasser und kleideten sich mit ihren weißstrahlenden Gewändern an.

Jede Zauberfee besaß einen eigenen Zauberstab mit ganz besonderen Fähigkeiten. Sie waren schon von ihrem ersten Tag auf Erden an, darauf vorbereitet worden, ihre Kraft konnte nur in der Gemeinschaft wirken. Der Verlust einer einzigen Fee mit ihren eigenen Fähigkeiten, würde große Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Welt haben.
So schworen sich die Feen nach jedem Bad auf ein Neues:
„Möge jede Fee, auf die Fee in ihrer Nähe achten!“

Das ging auch über viele Jahrhunderte gut, doch leider war die Welt lange nicht so Heil, wie sie erschien. Die bislang einfachen Menschen, überwiegend lebten sie vom Landanbau und der Viehzucht begangen sich immer weiter zu entwickeln. Sie erlernten die Kunst das Schwert zu führen und damit auch den Kampf. Sie erfanden das Rad und damit auch die Möglichkeit, endlich die Welt noch schneller zu erobern. Ihre Schiffe kreuzten die Meere. Ihre Heere zerstörten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Sie lernten schnell ihres Gleichen zu versklaven und anschließend, bis auf das Blut zu quälen. Ihr Tatendrang kannte keine Skrupel, ihr Beutezug war ohne Beispiel, kannte keine Gnade.

So zogen sie erobernd durch die Welt und kamen dabei immer näher an die letzte Felsquelle mit glasklarem Wasser.
Die Zauberfeen hatten nun nicht nur hilflos mit anzusehen, wie sich die Jahreszeiten immer mehr untereinander in Fehde befanden. Nein! Nun wurden auch noch die Menschen zu einer wirklichen Gefahr.

So kam es, wie es kommen musste, an einem wunderschönen Herbsttag wurde die Zauberfee der Freude, in den Ardennen, von einem Kampfflugzeug erfasst und in ein schluchtartiges Flusstal gestürzt. Ab diesem Tag wurde die Freude auf dieser Welt nicht mehr gehegt und gepflegt und so starb sie mehr und mehr ab.

Als nächstes traf es die Zauberfee des Waldes. Eine Bande von Jugendlichen legte mutwillig an mehreren Stellen in einem Nationalpark Feuer. Die Katastrophe nahm ihren Lauf und die Zauberfee des Waldes verglühte in einem grellen Flammenstrahl.

Das Schicksal nahm seinen Lauf und fortan verging keine Woche ohne den Verlust von einer Zauberfee.

Das Bild der Welt veränderte sich mächtig, und die entfesselten Mächte des Bösen suchten ihre Opfer. Eine Naturkatastrophe jagte die Nächste.

An der letzten Felsquelle mit glasklarem Wasser badeten an einem letzten schönen Jahrestag die Zauberfeen. Bald schon würde die Eiseskälte der menschlichen Herzen ihre Quelle zu Eis erstarren lassen. Die letzte Bachforelle war gegangen, der letzte Ton des Frosches für immer verstummt. Leise bewegte sich das Wasser und drinnen funkelte immer noch ein kleines Meer aus goldenen Sternchen.

Ein kleines Mädchen näherte sich der Quelle. Sie blickte in das Wasser und lächelte freundlich.

„Mama, Mama, komme her! Schau doch! Ich habe die Quelle gefunden.“

Eine Frau mit einem Weidenkorb voller Pilze näherte sich der Quelle. „Sabine, du alte Träumerin, wir sind hier zum Pilze sammeln. Bleib da weg! Das Wasser ist schmutzig!“

Die Kleine hob den Kopf in Richtung der Mutter. „Das Wasser ist glasklar! Dies ist die Quelle, von der immer die Oma erzählt hat. Das ist das Reich der Zauberfeen!“

Die Mutter stellte den Weidenkorb ab und näherte sich dem Wasser. „Du solltest nicht allen Unsinn glauben.“
Sie schaute in das Wasser und staunte. „Das Wasser ist wirklich glasklar. Wieso sind so viele kleine goldene Sternchen zu sehen?“

Sabine so hieß das kleine Mädchen nahm ihre beiden Hände und schöpfte das Wasser.

„Lass das bloß bleiben! Wer weiß, was mit dem Wasser ist.“ „Mama, das sind die Zauberfeen.“ Sie nahm ihre rechte Hand und legte den Zeigefinger auf den Mund.

Leise flüsterte sie. „Du darfst sie nicht erschrecken. In der Geschichte der Oma heißt es: Legt ein unschuldiges Mädchen seine beiden Hände in die Quelle des Lebens, beginnt das Reich der Zauberfeen von Neuem. Die toten Feen werden auferstehen und die Welt wird sich unter ihrem Zauber von Neuem zum Guten verändern.“

Die Mutter schüttelte den Kopf. „Du und deine Oma, nichts als Flausen im Hirn! Es wird langsam Zeit den Ernst des Lebens zu begreifen, statt sich in das Land der Träume zu verziehen.“

Während sie das sagte, begann sich bereits die Quelle zu verändern. Das Wasser floss stärker. Auf einmal sprühten überall um sie herum goldene Sternchen. Die Mutter war sprachlos, viel zu sehr wurde sie ergriffen von einer grenzenlosen Freude und Leichtigkeit ihres Herzens. So etwas hatte sie ihren Lebtag noch nicht erfahren, so war sie erst einmal ganz still. Diesen kostbaren Augenblick galt es lange auszukosten. Wer wusste was noch so geschehen würde?

Sabine schaute derweil gespannt dem munteren Treiben zu.
Die Zauberfee der Freude, versprühte die meisten Sternchen. Sie setzte sich neben das kleine Mädchen und sagte leise. „Danke! Du bist gerade dabei, die Welt vor dem sicheren Untergang zu retten.“

Die Zauberfee des Waldes frohlockte. „Jetzt werden die Wälder wieder ihren Platz in dieser Welt einnehmen. Das alles verdanken sie dem großen Herzen eines Kindes. Ein Herz mit mehr Liebe und Güte, als die Macht des Bösen je aufbringen kann. Die Sonne wird der Menschheit den Weg in eine goldene Zeit weisen.“

Immer mehr Zauberfeen entstiegen der Quelle und sie murmelten den Zauberspruch: „Möge jede Fee, auf die Fee in ihrer Nähe achten!“

Von diesem Tag an wurde das Leben jeden Tag ein Stück mehr lebenswert. Der Hass aber verglühte in der Wärme der Liebe, die in den Herzen der Menschen erwachte. Das Land der Zauberfeen war endlich von einem Alptraum befreit und überall begann das Zeitalter des Friedens auf dieser Welt.


© Bernard Bonvivant<>, Schriftsteller, Germany

Sonntag, 22. August 2010

Das Umerziehungslager

Das Umerziehungslager


Im Jahre 2014 herrschen in Deutschland wieder Zucht und Ordnung.

2010 verabschiedet der Bundestag ein neues Gesetz um die Krawalle der Straße endlich, zu beenden. Jugendliche, die bei Gewalt, Zerstörung oder anderen Straftaten auf der Strasse erwischt werden, sollen in 6 Monaten Umerziehungsmaßnahme Läuterung erfahren.

Das Gesetz finden viele Befürworter. Die Gegner werden wie immer gleich aus der Öffentlichkeit verbannt.

Die Idee nach amerikanischem Vorbild scheint gut durchdacht, doch die Umsetzung endet im Fiasko.

Die Sterblichkeitsrate in den Umerziehungslagern ist extrem hoch, außerdem sehen sich viele Familien angesichts der enormen Preissteigerungen der letzen Jahre nicht mehr in der Lage, die Beerdigungskosten zu tragen.

In einer weiteren Gesetzesanpassung wird beschlossen, Verstorbene auf einem anonymen Friedhof auf Staatskosten zu bestatten.

Die Öffentlichkeit scheint diese Umstände wenig zu interessieren. Dieser Schein aber trügt!

Immer mehr Menschen versuchen sich der totalitären Ordnung zu entziehen.

Im Jahre 2012 wird das Gesetz erweitert um den Passus, jede Person kann ohne Angabe von Gründen in ein Umerziehungslager gesteckt werden.

Zwei Jahre später scheint die innere Ordnung wieder geschaffen. Arbeitslose sind wieder bereit für zwei Euro die Stunde zu arbeiten. Die Presse hat sich schnell auf einen regierungsfreundlichen Kurs eingestellt.
Warum? Ein Großteil ihrer Schreiberlinge ist aus den Umerziehungslagern nicht zurückgekommen.

Am 30. Januar2014 trifft es auch den Schriftsteller, Ralf Berger. In seiner Post liegt ein Schreiben vom Innenministerium. Ludmilla Berger öffnet den Brief schweren Herzens. Sie spürt förmlich die Gefahr, die von diesem Kuvert ausgeht.
Den Brief lesend sackt sie auf den Stuhl. Ralf Berger findet seine Frau apathisch vor sich hinstarrend auf dem Stuhl sitzend vor.
„Ist Dir nicht gut, Ludmilla.“ Die Deutschrussin aus Sibirien reicht Ihrem Mann wortlos das Schreiben.
Dessen Gesicht wird beim Lesen der Zeilen kreideweiß.
„Hiermit wird angeordnet, der deutsche Staatsbürger Ralf Berger hat sich am 01. Februar, 7.30 Uhr, auf dem Busbahnhof einzufinden, zwecks Abtransport in das Umerziehungslager Westerwald.“
Ralf liest den Brief dreimal. „Warum Westerwald? Es gibt doch ein Lager im Hochwald!“
Ludmilla schaut ihn mit weitaufgerissenen Augen an, schlagartig ist sie wieder in dieser Welt.
„Mein Gott, Ralf, die wollen nicht dein Überleben, die wollen deinen Tod. Du wirst sterben, Deine Bronchitis macht da nicht lange mit. In der Nacht die Kälte, nach wenigen Tagen klamme Kleidung. Keine richtige Nahrung, Du kriegst da bestimmt kein gutes Essen. Wir müssen raus aus Deutschland. Heute noch!“
Der Autor lässt den Brief in seinen Händen zu Boden fallen, geht auf die Knie vor seiner Frau und legt den Kopf auf ihren Schoss.
„Ludmilla, meine kleine russische, ungestüme Wildkatze, die lassen uns nicht mehr raus. Ich muss wohl oder übel in das Lager.“
Der Frau rinnen Tränen über die Wangen hinab in zum Hals. „Ist es wirklich schon zu spät? Das überlebe ich nicht!“
Ralf hebt seinen Kopf und gibt ihr einen Kuss.
„Mein blonder Engel, es ist doch nur ein halbes Jahr.“

„Ein halbes Jahr in Liebe ist nur ein Vierteljahr, die Tage des Glücks fliegen dahin im Rausch der Gefühle. Ein halbes Jahr in einem Lager zählt mindestens dreimal so lang. Du wirst nach einiger Zeit den Tag deiner Geburt verfluchen, ein paar Wochen später um Erlösung bitten. Am Ende tragen sie dich mit den Füssen nach vorne heraus, verscharren dich auf ihrem anonymen Friedhof.“

Ralf beginnt hemmungslos zu heulen.
„So etwas darfst du nicht einmal denken. Jede Sekunde und jede Minute werde ich nur an dich denken, deine Liebe wird mir die Kraft geben, dieses Lager zu überstehen.“
Ludmilla lächelt ihn an. „Ja, auch ich will jede Sekunde und jede Minute nur an dich denken. Jeden Tag werde ich für dich mein Gebet halten und es soll immer eine Kerze brennen bis zu deiner Rückkehr.“

Am 1. Februar um 7.30 besteigt Ralf den Bus in das Umerziehungslager Westerwald. In einem Koffer hat er seine Wäsche und ein paar Erinnerungsstücke gepackt.
Der Anblick des Umerziehungslagers erschreckt ihn, alles umzäunt zusätzlich mit Stacheldraht gesichert und um die Außenanlage drehen Wächter mit ihren Wachhunden ihre Runden.

In einer Baracke für Neuankömmlinge wird ihm schnell der Wert seines Lebens bewusst. Sie nehmen ihm seinen Koffer und seine Kleidung am Körper ab, stattdessen bekommt er eine Einheitskleidung verpasst. Beim Verlassen der Baracke erhält er Essgeschirr, einen Schlafsack, zwei Wolldecken, mit dem Hinweis Ersatz gibt es keinen.

Vor der Baracke sammeln sich langsam Menschen, denen das gleiche Schicksal bevorsteht.
Neben ihm steht ein Mann und grinst ihn an.

„Gestatten Dr. Simon Bernstein, Frankfurt.“ Ralf schüttelt seine Hand. „Ralf Berger, Schriftsteller.“
In ihrer Nähe steht ein Wächter und brüllt los.
„Ihr, zwei Arschgesichter vortreten, aber dalli.“
Ralf Berger zeigt auf seinen Nachbarn und sich.
„Meinen Sie uns?“
„Wen den sonst, Ihr Arschgesichter!“
Die beiden Männer treten vor und stehen nun direkt vor dem Uniformierten. Der zeigt auf Berger.
„Was ist dein Beruf, Arschgesicht?“
Dr. Bernstein antwortet. „Der ist Schriftsteller.“
Das war keine kluge Handlung von ihm. Der Wächter schwingt einen Elektroschocker vor seinem Gesicht.

„Habe ich dich Arschgesicht etwas gefragt? Du hast hier nur das Maul aufzumachen bei einer direkt an dich gerichteten Frage, ansonsten gilt hier für alle Insassen Redeverbot. Verstanden, Arschgesicht! Wer hier nicht pariert bekommt eine Extraladung von mir verpasst, danach läuft es wie geschmiert mein Freund.“

Der Wächter heißt die Neuankömmlinge, sich in einer Reihe aufzustellen.

„Damit Ihr, trüben, minderwertigen Kreaturen gleich klar seht. Wir sind hier kein Vergnügungspark, hier wird aus Abschaum eine verwertbare Masse Mensch gemacht. Ihr alle werdet dieses Lager verlassen als neue Menschen. Ich erwarte zur Abwechslung unter euch keine Schwächlinge, die hier eingehen wie die Primeln. Beißt eure Hinterbacken zusammen. Werdet endlich Mal Männer, Ihr Haufen voller Waschweiber. Mein Name ist Meier und Ihr habt mich anzureden mit. Jawohl, Herr Meier. Ist das klar!
Weil Ihr ja, da oben in den Köpfen, ein wenig unterbelichtet seit, üben wir das. Wie heißt es Berger?“

Ralf Berger brüllt aus Leibeskräften, vor seinen Augen das zarte Bild seiner geliebten Ludmilla.
„Jawohl, Herr Meier.“
Das beeindruckt, Herrn Meier, gewaltig und stimmt ihn gleich lammfromm.
„Schau an, geht doch! Okay, du bist kein Schreiberling mehr und deshalb kommst du auch nicht in die Zelte der Schreiberlinge. Du kommst zur Strafe in das gleiche Zelt, wie dieser Blödmann aus Frankfurt neben dir."
„Wie heißt es Arschgesicht?“
Dr. Bernstein nimmt sich zusammen und brüllt laut.
„Jawohl, Herr Meier.“
„Ich teile euch jetzt die Zelte zu, Ihr könnt euch dort häuslich niederlassen. Um 18.00 Uhr gilt es für euch Fraß fassen und danach ab ins Bett. Morgen beginnt dann der wahre Ernst des Lebens.“

In den großen Mannschaftszelten ist jeweils Platz für zwanzig Personen. Das erleichtert beim Abzählen die Arbeit. Es müssen immer zwanzig sein. Die Toten werden durch Neuankömmlinge ersetzt.

Berger und Dr. Bernstein bekommen ein Feldbett nebeneinander. Ralf setzt sich auf sein Bett und blickt sich in dem Zelt um.

„Das kann heiter werden die nächsten Monate.“
Dr. Bernstein setzt sich ihm gegenüber.
„Weshalb haben Sie dich in dieses Lager gesperrt?“
Ralf zuckt mit den Schultern.
„Ich habe wahrscheinlich zu häufig meine Meinung geschrieben.“
„Findest du es richtig, wegen einer Meinung weggesperrt zu werden? Das sind schlechte Zeiten in denen ein Schriftsteller nicht mehr seine Worte schreiben darf.“
Ralf nickt. „Weshalb wirst du erzogen?“
„Ich bin Oberarzt an einem Klinikum und ich war so dreist den Ärmsten der Armen zu helfen.“
„Quatsch! Du redest jetzt Unsinn, also die Wahrheit musst Du schon sagen.“
„Es ist die Wahrheit mein Freund, die brutale Wahrheit. Ich habe einen Schwur geleistet als Arzt zu helfen und die Krankenkassen untersagen uns, zu helfen.“
„Das ist doch nicht dein Ernst.“
„Doch, wenn ich es dir doch sage. Die Krankenkassen zahlen eine ganze Menge an Therapien nicht mehr und die Medikamente werden auch abgestuft. Bist du kein Privatpatient oder einer mit vielen Zusatzversicherungen ausgestatteter Pflichtversicherter bekommst du eine ganze Menge an Behandlungsmöglichkeiten vorenthalten.“
Ralf schaut ihn erstaunt an. „Das habe ich noch nicht so genau mitgekriegt.“
„Ich bin hier, weil ich nach meinem ärztlichen Gewissen gehandelt habe. Jetzt haben sie mich am Hintern und die Zeit hier werde ich kaum überleben.“
„Du darfst erst gar nicht so denken, ich denke immer an meine Ludmilla. Ich werde hier lebend mit hocherhobenem Kopf herausgehen. Wir werden hier überleben, ich helfe dir.“
Dr. Bernstein schaut ihn interessiert an. „Du weißt schon, du bringst dich unnötig in Gefahr.“
Ralf reicht ihm die Hand. „Schlag ein mein Freund wir, werden überleben.“ Sie besiegeln ihren Pakt und fühlen sich augenblicklich stärker.

Die nächste Zeit wird für sie hart. In der Kälte des Februars, der Witterung ausgesetzt, müssen sie sinnlose Gräben ausheben. Sie fragen nicht warum, sie tun es einfach. Das Essen ist mehr als schlecht, doch es ist warm. Die Wärme des Essens gibt ihren kalten, steifen Gliedern wieder neues Leben. Es stimmt eine warme Mahlzeit wärmt von innen, sei sie auch noch so schlecht. Der Mensch ist ein Gewöhnungstier.

Trotz des Schreibverbots gelingt es Ralf, an Papier und einen Kugelschreiber zu kommen. Einen vermeintlichen sicheren Platz findet er auch. Hinter der Kantinenbaracke scheint ein sicherer Ort zu sein, zumindest schaut fast nie jemand vorbei.
Er bleibt nicht lange an diesem Ort alleine, bald schon gesellt sich Dr. Bernstein zu ihm. Im Schein einer schlechten Beleuchtung schreibt Ralf Berger einen neuen Roman. Er schreibt über das Leben in diesem Lager, die Menschen, ihre Schicksale und das Ende.

Fast jeden Tag müssen sie Tote bestatten. Er hat es zusammen mit Dr. Bernstein gepackt, in die Friedhofstruppe aufzusteigen. Aufstieg?

Gemessen an dem was die Anderen an Aufgaben bewältigen müssen, ist die Arbeit auf dem Friedhof noch als angenehm zu bezeichnen. Sie müssen die Gräber von Hand ausheben, die Leichen in Holzkisten legen. Die Holzkisten in das Grab herablassen und anschließend wieder zu schaufeln.
Ein Ingenieur in ihrer Truppe hat ihnen einige Arbeitsabläufe durch einfache Hilfsmittel erleichtert. Der große Vorteil bei dieser Arbeit sind die längeren Pausen.
Herr Meier lässt sie weitestgehend freischalten und walten.

Das sieht für den Rest der Truppe anders aus. Ein Großteil muss Steine klopfen wie im Mittelalter.

Am härtesten trifft es den Straftrupp. Die armen Schweine müssen ständig die Toilettenhäuschen umsetzen und die Scheißgruben entleeren. Da bleibt es nicht aus, dass sie zuweilen in dem Zeug sprichwörtlich baden gehen.

Im Grunde stellt sich die Frage war diese Umerziehung eigentlich sinnvoll? Nur die Insassen sind am Abend viel zu müde und kaputt um noch zu denken.
Ralf hingegen kommt mit dieser Lebenssituation viel besser zurecht, als er anfangs zu glauben wagte. Er hat am Abend immer noch Elan zum Schreiben, auch nach vier Monaten ist er noch dazu in der Lage.

An einem Samstagabend fliegt sein Versteck auf.
Er sitzt wieder einmal hinter der Baracke und ist mitten in das Gespräch mit Simon vertieft, da kommt doch tatsächlich jemand um die Ecke.
Sie riechen den Rauch einer Zigarette, doch zur Flucht ist es zu spät. Dr. Bernstein sitzt wie angewurzelt auf einer Holzkiste und Ralf bringt es nur noch fertig aufzustehen.

Sie blicken auf den Mann, der so plötzlich vor ihnen steht.
Der Küchenmeister, der dicke Dörr, steht lässig die Zigarette in der Hand haltend in zwei Meter Entfernung.
Sein Vollmondsgesicht beginnt zu grinsen.

„Na Jude, hast du dir in die Hose geschissen?“
Dr. Bernstein ist fassungslos, bislang hat niemand in dem Lager bemerkt, das er ein Jude ist. Er schaut von seiner Kiste hinüber zu dem großen Mann.
„Woher wissen sie das ich ein Jude bin?“
„Mann, kannst mich schon duzen, Simon. Ich verrate dich schon nicht. In deinem Gesicht steht die Angst, außerdem heißt du Simon Bernstein. Ich meine ich bin nicht so helle im Kopf wie ihr, aber ein bisschen was kann ich mir schon zusammenreimen.“

Er schaut interessiert auf das Papier in den Händen von Ralf. „Mann, Schreiberling du bist noch blöder als die Polizei erlaubt. Wie kannst du unter den Kameras schreiben, die kriegen es doch mit. Fragt sich, wann sie dir deinen Roman aus den Händen holen.“
Ralf schaut irritiert zu Simon, dann zurück in das Vollmondsgesicht. „Was für einen Roman?“

„Du Armleuchter, die halbe Küche hat den schon gelesen und vor Lachen flachgelegen.“
Ralf sieht vor seinen Augen langsam Ludmilla entschwinden. Er denkt. – Tut mir leid mein Liebling, fast hätte ich es geschafft. Jetzt ist wohl alles vorbei. –

Küchenmeister Dörr grinst. „Scheißt ihr euch also doch in die Hosen?“
Dr. Bernstein sagt ganz leise und gelassen.
„Wir zwei halten zusammen und gemeinsam stehen wir auch den Rest dieser Geschichte aus.“
Dörr nickt zustimmend. „Das glaube ich auch, ihr zwei habt aber auch einen Dusel, kaum zu glauben, aber die Kameras hier in den Ecken sind Außerbetrieb. Die haben kein Geld für Ersatz, also wird der Anschein erweckt als funktioniere die Überwachung. Simon eigentlich sitzt du auf meiner Holzkiste, von mir aus bleibe ruhig sitzen.“
Ralf steht immer noch das Papier in den Händen nicht wissend, wie es weitergehen wird.

Der Küchenmeister lehnt sich gegen die Wand.
„Ralf, deinen Roman da hinten in die Blechdose zu stecken war nicht besonders intelligent. Die Behälter werden normalerweise regelmäßig entsorgt. Dein Behälter wäre auch fast abhandengekommen, hätte nicht einer meiner Jungs was gemerkt. Tja, Leute, so haben wir den Roman gefunden. Jetzt fragt ihr euch sicher: Warum haben die uns nicht verpfiffen? Gute Frage, das hat uns eben gefallen. Wir haben abgestimmt und entschieden, das Zeug da wird gedruckt. Ihr werdet in zwei Monaten entlassen, dann schaffen wir euch das Buch raus und ihr verlegt es im Ausland. Wir wollen dafür keine Gegenleistung, außer du erwähnst uns aus Dankbarkeit als deine Helfer.“

Ralf nickt zustimmend.
Dr. Bernstein hat dagegen einen Einwand vorzubringen.
„Das ist lobenswert, keine Frage. Nur habt ihr auch die Folgen für euch selbst bedacht?“
Küchenmeister Dörr schaut ihn überrascht an.
„Was willst du damit sagen?“
„Überlege doch Mal, am Ende findet ihr euch im Umerziehungslager auf der anderen Seite wieder.“

Der Küchenmeister nickt. „Soweit habe ich noch nicht gedacht. Lass uns lieber bei der Sache außen vor. Ehe ich es vergesse, kein Wort zu niemandem, verstanden.“
Ralf und Simon nicken bestätigend. Der Küchenmeister begibt sich zurück in seine Baracke.

Dr. Bernstein hingegen atmet auf.
„Jetzt glaube ich doch an Wunder. Wir schaffen es, wir kommen hier wieder raus.“
Ralf grinst. „Ich sage doch meine Ludmilla, die hilft mir.“
Simon klopft ihm auf die Schulter.
„Das muss eine große Liebe sein, nur eine große Liebe kann über eine solche Entfernung so große Kraft haben.“

Im Monat Mai sind die Todesfälle bereits rückläufig gewesen und Juni und Juli bescheren ebenso auf dem Feld der Toten eine eher geruhsame Arbeitszeit.

Am 31. Juli lässt Herr Meier, seine Truppe antreten.
„Leute ihr enttäuscht mich, wieder einmal hat es eine Gruppe nicht gepackt, vollständig entlassen zu werden. Das Positive daran ist, zum ersten Mal sind es so viele wie nie zuvor, die hier wieder rausgehen. Merkt euch für euer Leben in der Zukunft. Haltet euch an Gesetz und Ordnung! Macht die Arbeit, die ihr zugeteilt bekommt! Ich will keinen, aus eurem Sauhaufen, hier wiedersehen verstanden. Und jetzt ab in die Baracke zum Ankleiden und dann beginnt wieder das Leben für euch. Wegtreten!“

Die ganze Gruppe brüllt. „Jawohl, Herr Meier.“

Dr. Simon Bernstein und Ralf Berger besteigen ihren Bus nach Hause. Sie sitzen schweigend nebeneinander, versuchen die Vergangenheit zu verarbeiten. Ihren möglichen Platz in der Zukunft zu finden.

Da rollt plötzlich eine große Blechdose durch den Bus.
Dr. Bernstein stoppt sie mit dem Fuß, hebt sie auf und reicht sie Ralf. Der nimmt den Deckel ab, in der Dose liegen die handgeschriebenen Seiten seines Romans.

2015 Ludmilla und Ralf Berger leben in der Schweiz. Der Roman wird nach erscheinen im Handel ein Bestseller.

Prof. Dr. Simon Bernstein lebt ebenfalls in der Schweiz, er ist dort Chefarzt an einer Universitätsklinik.

Ralf und Simon sind Freunde für ein Leben geworden, so besehen hatte das Umerziehungslager doch eine gute Seite.
Verschwiegen werden sollte nicht die traurige Bilanz der Toten und Psychischkranken.

Am Ende bleibt die Frage: Welchen Erfolg hat eine solche Welt?


Vom Autoren des Romans „ Das Chaos
© Bernard Bonvivant

Samstag, 21. August 2010

Liebe, Leidenschaft und Glück in Linz

Manuela und Franz sind an diesem Samstagvormittag unterwegs um ihren Wochenendeinkauf zu tätigen.
Manuela arbeitet am Krankenhaus in Linz als Stationsärztin. Franz ist Ingenieur und arbeitet bei einem größeren Ingenieurbüro, ebenfalls in Linz.
Und Linz? Linz liegt in Oberösterreich hat mehr Arbeitnehmer als Einwohner und ist sozusagen ein Jobmotor. Außerdem finden hier das Leben und die Liebe genauso statt, wie auf jedem anderen Flecken dieser Erde.
Manuela bleibt vor einer Boutique stehen. „Schau Franzl, ganz tolle Sachen haben die hier in dem Laden. Ich werde mir wohl was zum Anziehen kaufen.“
Ihr Gatte schaut ein wenig verwundert, „Hast Du nicht erst letzte Woche neue Klamotten gekauft?“
„Aber geh, Frauen brauchen immer Mal was Neues.“
Franz kratzt sich am Hinterkopf überlegt, wie er es ihr beibringen soll. Manuela wirft einen Blick zur Seite.
„Geh! Was schaust Du mich so komisch an? Hast wieder Angst ich gebe zuviel Geld aus?“
Franz atmet tief durch und dann lässt er die Katze aus dem Sack. „Wir kriegen kein Geld mehr auf der Bank. Unser Limit ist voll ausgeschöpft und die Bank will mit uns reden.“
Manuela zuckt mit den Schultern. „Na da mache ich dem Mann ein paar schöne Augen und die Sache ist erledigt.“
Franz schüttelt den Kopf. „Sage hinterher bloß nicht ich hätte dich nicht gewarnt. Den Menschen von der Bank beeindruckst du auch nicht mit schönen Augen. Die Jungs wollen Kohle sehen.“
Manuela schaut fasziniert in die Schaufensterauslage.
„Wir verdienen doch Geld, die Bank soll die Klappe halten. Meinst nicht, das Kleid steht mir gut?“
Franz ist fassungslos. „Ich sage dir, wir sind Pleite und du schaust nach Kleidern. Das ist wieder einmal so typisch für dich, verstehst du nicht oder willst du es einfach nicht kapieren?“
„Mensch, Franzl, du versaust mir immer mein Shopping, du bist ein alter Geizhals. Geh ins Kaffeehaus, ich komme später nach.“
„Manuela! Dir ist nicht zu helfen. Vielleicht merkst du ja an der Kasse was los ist!“ Franz dreht sich um und geht wortlos davon.
Am Zeitungsladen späht er in die Auslage und dann sieht er die Frau an der Kasse. Die sieht einfach nur zuckersüß aus und wie die lächelt.
Kurzerhand betritt er den Laden und schaut sich um. Verstohlen wandert sein Blick immer wieder in Richtung Kasse.
Die junge Dame hinter der Kasse heißt Sandra. Irgendwann später spricht sie den Mann an.
„Mein Herr kann ich Ihnen helfen?“
Franz strahlt über zwei Backen. „Ja und nein.“
Sie lächelt freundlich. „Wie darf ich Sie verstehen?“
Franz ist ihrem Charme erlegen und so pirscht er voll auf das Ziel los.
„Haben Sie schon was vor am Abend? Darf ich Sie einladen? Ich bin leider ein wenig knapp bei Kasse.“
Die junge Frau lächelt immer noch, jetzt wohl eher amüsiert. „Ich weiß nicht was Sie vorhaben mein Herr. Ihr Anbaggerspruch ist aber mit Abstand der Blödeste der mir je unter die Augen kam. Haben sie eigentlich eine Vorstellung was so eine Verkäuferin verdient? Ich bin doch nicht da um Blödmänner auszuhalten!“
Franz sieht seine Felle davonschwimmen. „Ich habe auch einen Wagen, vollgetankt, wenn ich bemerken darf.“
Sandra mustert den Mann von oben nach unten und bemerkt natürlich den Ehering am Finger. Auf der anderen Seite benötigt sie einen Wagen für den Abend, also mit dem Burschen wird sie wohl noch fertig.
„Gut, um sieben hier vor dem Geschäft. Wir fahren auf eine Party zu einer Freundin hundert Kilometer entfernt. Eine Wegstrecke ist dies wohlbemerkt. Saufen Sie?“
„Nein! Ich trinke keinen Alkohol.“
„Um so besser, dann können wir auch wieder nach Hause fahren ohne Probleme. Ich trinke auch keinen Alkohol mehr.“
Franz schaut sie mit großen Augen an.
„Ich meine, ich habe gute Gründe, keinen Alkohol mehr zu trinken.“
Franz grinst. „Das geht mich auch wenig an. Ich meine sie werden es mir sicher noch bei Gelegenheit sagen.“
Sandra nickte zustimmend. „Ja, vielleicht bei Gelegenheit, schauen sie zu, dass sie pünktlich sind.“

Franz schwebt aus dem Laden und ist erst einmal glücklich.
Manuela hat langen Dienst und wird erst wieder am Montagmorgen auftauchen, da kann er in der Zwischenzeit so richtig den ganzen Mist vergessen. Er wird die Kleine flachlegen keine Frage und dann wird er sich von Manuela trennen und, und.... . In seiner Euphorie hat er seine Umgebung total ausgeblendet und rennt voll gegen einen Mann. Der ist erst wütend, dann lacht er.
„Hallo Franz, bist wohl ein wenig stürmisch am Samstagvormittag.“
„Mensch Harald, dich habe ich glatt übersehen.“
Harald lächelt freundlich. „Ich bin auch so klein, einen Hünen wie mich übersieht man leicht.“
„Quatsch ich war in Gedanken, die Welt ist einfach so toll.“
Harald versteht im Moment nur Bahnhof.
Was ist bloß los mit dem Kerl?
„Gehen wir ins Kaffeehaus?“
„Ich war gerade auf dem Weg dahin, weißt du Manuela versucht sich wieder in Klamotten kaufen.“
Harald winkt ab. „Das kenne ich, von meiner Frau, bei der dauert so ein Einkauf oft Stunden. Ich bin darüber nur verzweifelt. Frauen sind halt Frauen.“
Im Kaffeehaus nehmen sie Platz an ihrem Tisch, der ist an diesem Morgen rein zufällig frei. Die nächste Stunde plätschert im Männergespräch dahin.
Manuela hingegen hat ihre Wahl getroffen und steht an der Kasse. Die Verkäuferin sagt freundlich.
„Gnädige Frau, das macht Vierhundertfünfzig Euro.“
Sie nimmt ihre Scheckkarte und reicht sie der Verkäuferin. Diese versucht die Karte einzulesen. Leider wird der Betrag nicht akzeptiert. Die Verkäuferin nimmt die Karte aus dem Lesegerät. „Sicher ist da ein Fehler in unserem Lesegerät. Ich versuche es noch einmal.“
Nach drei Versuchen ruft sie den Chef. Der erkennt sehr schnell die unangenehme Lage.
„Gnädige Frau, Ihre Bank akzeptiert ihre Karte nicht mehr.“

Manuela wird verlegen, auf ihr Gesicht legt sich die Schamesröte. Sie nimmt wortlos ihre Karte und verlässt die Boutique.
An der frischen Luft atmet sie tief durch und rennt fast bis zum Kaffeehaus.
Im Kaffeehaus sitzt Franz mittlerweile allein an seinem Tisch und wartet der Dinge, die kommen mögen. Ein komisches Gefühl in der Magengegend lässt ihn Unangenehmes erahnen.
Seine Frau reißt die Tür zum Kaffeehaus auf und stürzt auf seinen Tisch zu. Sie lässt sich auf den Stuhl fallen und starrt ihn stumm an.
„Wieso hast Du blöder Kerl mich nicht gewarnt? Weißt du überhaupt wie peinlich das ist? Du stehst in einer Boutique und deine Kreditkarte ist nicht gedeckt. Wie peinlich! Frau Doktor zahlungsunfähig. Warum hast Du mir nicht gesagt, wie schlimm es um uns steht?“
Franz schaut zum Fenster hinaus.
„Hättest Du es mir geglaubt?“
Die Serviererin kommt zum Tisch und stellt eine Wiener Melange vor Manuela ab. Sie lächelt freundlich.
„Bitte schön Frau Doktor. Wie immer?“
Manuela nickt stumm. Plötzlich wird ihr schlagartig bewusst, sie sind Pleite!
„Du Franz können wir überhaupt den Kaffee noch bezahlen?“
„Ich habe noch hundertfünfzig Euro in der Tasche. Das ist unser letztes Bargeld und heuer haben wir erst den 25.“
Manuela nippt still an ihrer Kaffeespezialität.
„Franz warum hast Du so viele Schulden gemacht?“
Franz ist erst sprachlos dann aber schlägt er zurück.
„Meine Liebe unsere Schulden, die gehören zur Hälfte auch Dir. Wir haben drei Kredite zu bedienen und leider das gemeinsame Girokonto mit zwölftausend Euro überzogen. Wir unterhalten zwei Autos, haben eine teuere Mietwohnung und fahren auch noch zweimal im Jahr in Urlaub. Dein Faible für teuere Markenkleidung schlägt ebenso nicht zu knapp zu Buche.“
Manuela schaut ihn erstaunt an.
„Meine Klamotten? Du tickst wohl nicht ganz richtig im Kopf! Ich kaufe mir nicht so oft Kleider.“
Franz zuckt mit den Schultern. „Das ist Ansichtssache, unser Kontostand ist Fakt.“
„Ich werde zu Hause meine Kosten aufstellen und dann laufen Dir die Augen über Franzl!“
Franz lächelt milde. „Wann gedenkst Du dies zu tun? Hast Du vergessen, Du hast Dich über das Wochenende freiwillig zum Dienst gemeldet.“
„Das ist Blödsinn, zwei Kollegen sind krank und die Vertretung hat Urlaub, da muss ich ja ran.“
„Auf jeden Fall werden wir nicht umhin kommen mit der Bank zu reden.“
„Ich werde jetzt bei meiner Mutter vorbeischauen, die gibt mir immer Geld. Außerdem wird mein Paps auch noch was abdrücken.“
Franz schüttelt den Kopf. „Wann wirst Du eigentlich eine Erwachsene? Du bist eine total verwöhnte Göre!“
Manuela streckt die Hand über den Tisch.
„Gib mir die Hälfte von unserem Geld.“
Franz grinst und fragt.
„Gibst Du mir auch die Hälfte vom Geld Deiner Eltern?“
Manuela tippt sich an die Stirn.
„Spinnst Du, das Geld ist für mich gedacht!“
„Aha! Du bist und bleibst eine Egoistin.“
Manuela steht vom Tisch auf. „Das nimmst Du sofort zurück! Ich rede ansonsten nie mehr ein Wort mit Dir.“
Franz schaut sie verärgert an. „Dann haue doch ab! Verschwinde endlich aus meinem Leben, Du dämliche Nuss!“
„Ach, so denkst Du von mir? Eigentlich wollte ich mit Dir in der Wienerstrasse beim Italiener essen gehen; aber jetzt kannst Du mich Mal!“
Franz erwidert. „Ich bin froh, wenn ich Dich nicht mehr sehen muss!“
Manuela stemmt die Hände in die Hüften.
„Damit wäre ja so gut wie alles gesagt!“
Dreht sich um und verlässt das Kaffeehaus. Franz legt das Geld auf den Tisch und verschwindet ebenfalls. Dieser Auftritt war nur peinlich. Was sollen die Leute nur von Ihnen denken?
Manuela besucht an diesem Nachmittag ihre Eltern und hat das große Glück am Ende besser dazustehen, als zuvor.
Ihr Vater schüttelt nur den Kopf über soviel jugendliche Dummheit. Alle Vorträge über den Umgang mit Geld scheinen hier wenig zu fruchten. Kind ist nun einmal Kind und bleibt es auch als Erwachsene. Sie haben nur die eine Tochter, so zeigt er sich von seiner großzügigen Seite. Er verspricht, seiner Tochter am Montag ihre Schulden auf dem laufenden Konto auszugleichen. Im Gegenzug erwartet er von seiner Tochter endlich mehr charakterliche Reife, immerhin sind ihre Eltern bekannte Persönlichkeiten.
Manuela würde alles versprechen, und wie immer nichts davon halten, nur dieses Mal ist es doch anders. Sie nimmt sich ernsthaft vor an der Angelegenheit zu arbeiten.
Ihre Mutter drückt ihr dreihundert Euro in die Hand und gibt ihr noch eine halbe Linzertorte mit. Der Franzl isst doch so gern Linzertorte.
Am Auto rollen Manuela die Tränen. Der Tag läuft echt bescheuert. Eigentlich sollten sie sich doch vertragen, statt sich auch noch zu zerfleischen. Im Grunde liebt sie doch Franzl, nicht auszudenken, er würde dieses Wochenende Unsinn treiben. Sie will auf jeden Fall noch mit ihm reden vor Dienstantritt.

Ihre Wohnung ist leer, Franzl hat schon das Weite gesucht.
Tief enttäuscht fährt Manuela zum Krankenhaus, ausgerechnet dieses Wochenende muss sie auch noch die lange Schicht schieben.
Auf der Station hat sie sofort jede Menge zu tun und schnell hat sie ihre Probleme verdrängt. Zu allem Elend fällt auch noch in der Notaufnahme Personal aus und sie ist total im Treiben. Gegen vier Uhr am Morgen hat sie endlich ein wenig Ruhe und sie ruft zu Hause an. Niemand hebt am anderen Ende der Leitung ab. Manuela ist schlecht, die ganzen letzten Wochen ist ihr schon schlecht und es wird nicht besser. Die letzte Zeit hat sie häufiger so einen komischen Heißhunger auf total blöde Sachen.
Um diese Zeit hängt Franzl meist am Computer und surft im Internet. Warum an diesem Sonntagmorgen nicht?
Wie kann sie auch wissen, Franzl amüsiert sich prächtig auf
einer Party. Er ist hundert Kilometer entfernt auf einem Bauernhof.
Während der Fahrt hat er schon versucht diese Sandra aufzureißen, nur die lässt sich nicht auf ihn ein. Er beobachtet sie den ganzen Abend schon und irgendwie wird er das Gefühl nicht los, die ist in festen Händen. Nur warum verschweigt sie es?
Vor dem Haus trifft er sie die Sterne betrachtend.
„ Wieso hast Du mir nichts von Deinem Freund gesagt?“
Sandra schaut ihn erstaunt an. „Mein Freund ist ein verheirateter Deutscher Volltrottel, der hier in Österreich arbeitet und zu dämlich ist, sich für mich zu entscheiden. Ich bin außerdem zwanzig Jahre jünger als er. Du trägst einen Ehering, was erwartest Du von mir?“
Franz schaut auf seinen Ehering. „Ja, ich bin verheiratet mit Manuela, einer Ärztin, tolle Frau. Wir hatten Streit und ich wollte Ihr eins auswischen.“
Sandra schüttelt verständnislos den Kopf. „Und da denkst Du, wenn Du Mal so nebenbei eine Andere nimmst, ist die Rache perfekt? Ich rate Dir lass bloß die Finger von dem Unsinn. Du machst es am Ende nur noch schlimmer.“
Franz schaut in den klaren Sternenhimmel. „Und wie ist es bei Dir?“
„Ich hoffe, es kommt eine Sternschnuppe und dann wünsche ich mir, er entscheidet sich endlich für mich.“
Franz sagt leise. „Weiß der Trottel eigentlich, wie sehr Du ihn liebst?“
Sandra lacht laut. „Ich glaube, er weiß es nicht! Vielleicht benutzt er mich ja nur. Ich will es nicht wahrhaben.“
„Weißt Du Sandra Du, hast mich vor einem großen Fehler bewahrt. Wann fahren wir eigentlich zurück nach Linz?“
Sandra nickt zustimmend. „ Ich denke wir fahren gleich.“
Sie verlassen die Party und fahren zurück in die Stadt. Franz hält vor dem Geschäft. „Wieso wohnst Du eigentlich über dem Laden?“
Sandra lacht. „Der Laden gehört mir, komm ich koche uns noch einen Kaffee.“
Franz schaut sie lange an. „Aber nur einen Kaffee.“
„Was denkst Du denn, ich habe Dir doch gesagt, wie es um mich steht.“
Franz nickt beruhigt. „Dann ist alles in Ordnung.“
Sie betreten das Treppenhaus und gehen nach oben in den ersten Stock. In Sandras Wohnung brennt Licht.
„Mist! Ich habe wohl vergessen das Licht auszuschalten.“
Sie schließt die Wohnungstür auf und sie betreten die Wohnung. „Gehe schon Mal in unser Wohnzimmer, da vorne die Tür rechts.“
Franz geht in das Wohnzimmer und erschrickt. Ein Mann sitzt auf der Couch und schaut ihn wenig überrascht an.
Franz zeigt hinter sich. „Ich habe Sandra nach Hause gefahren, sonst ist zwischen uns nichts gelaufen.“
Der Mann lächelt freundlich. „Sandra würde nie einen Mann an sich heranlassen.“
Franz schaut ihn erstaunt an. „Sie sind ein Mistkerl hat Ihnen schon einmal jemand diese Wahrheit gesagt. Sie haben eine der tollsten Frauen dieser Stadt und Sie sind immer noch mit einer anderen Frau verheiratet. Sie sollten sich schämen! In einem Punkt haben Sie recht, eine solche Frau haben Sie nicht verdient, die liebt sie wirklich.“
Verlegen schaut Franz nach unten auf den Teppichboden.
„Ich gehe dann besser jetzt.“

Er verlässt die Wohnung und fährt nach Hause. In seiner Wohnung brennt auch das Licht. Manuela hat wohl vergessen das Licht auszumachen, als sie am Abend zum Dienst ging.
Im Wohnzimmer erwartet Franzl eine Überraschung und die verschlägt ihm die Sprache.
Auf der Couch liegt Manuela und schaut ihn stumm an. Er braucht einige Zeit um sich auf diese Situation einzustellen.
„ Ich komme gerade von einer Party.“
Manuela schaut ihn überrascht an. „Seit wann gehst Du auf Partys?“
„Ich brauchte ein wenig Abstand, etwas Ablenkung von meinen Gedanken. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll? Wir reden doch viel zu wenig miteinander. Wieso bist Du eigentlich nicht in der Klinik?“
„Ich bin zusammengebrochen und da haben sie mich krankgeschrieben.“
Franz ist erschrocken. „Hast Du was Ernstes?“
Manuela nickt. „Ja, unser Leben wird sich auf den Kopf stellen.“
Franz setzt sich kreidebleich auf einen Sessel. „So schlimm?“
Manuela grinst breit. „Kommt darauf an, auf jeden Fall wird es in ein paar Monaten hier ein wenig enger werden.“

Franz schaut sie lächelnd an. „Soll es etwa heißen, wir kriegen ein Baby?“
Manuela richtet sich auf der Couch auf. „Was hast Du den gedacht?“
Franz sagt mahnend. „Wir müssen unbedingt unsere Finanzen in Ordnung bringen.“
Manuela lächelt. „Mein Vater gleicht unser Konto aus und wahrscheinlich wäre es klug, zu meinen Eltern zu ziehen. Ich will wieder arbeiten und meine Eltern haben Personal.“

Franz nickt zustimmend. „Ich denke unsere große Freiheit ist wohl vorüber.“
Manuela sieht ihn an. „Bist Du mir noch böse?“
„Nein mein Schatz, ich war doch auch nicht besser.“
Ihre Lippen finden sich zu einem langen Kuss.

Sandra kommt singend aus der Küche, vor sich ein Tablett balancierend. Fast entgleitet es ihr vor Schreck aus den Händen. Auf der Couch sitzt nicht Franz, sondern Christian. Sie setzt das Tablett mit letzter Kraft auf dem Couchtisch ab.
„Wo kommst Du her? Wo ist Franz?“
Sie lässt sich mit diesen Fragen in einen der Sessel sinken, ahnend es wird ein unangenehmes Gespräch.
Christian lächelt sie an. „Der hat es vorgezogen zu gehen. Das ist auch besser so, wir haben zu reden.“
Sie hat es schon befürchtet, sicher wird er ihre Geschichte bezweifeln. Sie hebt verzweifelt die Hände hoch. „Da war überhaupt nichts. Ich war mit ihm auf der Party, zu der Du keine Zeit hattest. Du wolltest das Wochenende in Deutschland bei Deiner Frau verbringen.“
Christian lächelt sie immer noch an. „Meine Rose, ich weiß doch schon längst die Wahrheit.“
Sandra schaut ihn erstaunt an. „Du weißt die Wahrheit? Während Du Dich in deinem Ehebett wälzt, weine ich mir die Augen aus.“
Er zeigt auf den Platz neben sich auf der Couch.
„Komm setze Dich zu mir meine Rose.“
Sie ist sich nicht sicher. Was soll sie jetzt davon halten? So nimmt sie neben ihm Platz und Ihr Herz pocht laut und stark. Irgendwie befürchtet sie, er wird das Ende Ihrer Beziehung verkünden. Nur warum nennt sie dann noch seine Rose?
Christian hingegen sucht nach den passenden Worten. Es wird nicht einfach werden. Er blickt ihr in ihre strahlenden Augen und seine Angst fliegt davon.
„Ich denke ich muss Dir die Wahrheit sagen, Sandra. Ich habe Dich die ganze Zeit belogen. Es gibt keine Ehefrau mehr, Brigitte ist seit sechs Jahren tot.“
Die Worte hallen durch den Raum und Sandra hört nicht das Wort von der Lüge, sie hört nur: keine Ehefrau!

Ihr Herz schlägt Salto und am liebsten würde sie an die Decke springen, stattdessen blickt sie ihn vorwurfsvoll an. Soll er bloß ein schlechtes Gewissen haben.
„Ich hatte Angst vor einer neuen Bindung, außerdem bist Du so viele Jahre jünger. Wie soll so etwas gut gehen? Am Anfang unserer Beziehung war ich mir sicher solch eine Liebe ist auf Zeit, kurze Zeit. Im ersten Jahr habe ich immer den Tag gefürchtet, an dem Du Schluss mit mir machst. Das zweite Jahr wurde ich mir Deiner Liebe sicherer, aber die Panik wuchs, weil ich doch zu alt für Dich bin. Im dritten Jahr wollte ich Dich nur noch auf Händen tragen und zu Deinen Füssen einen Teppich voller Rosen streuen. Irgendwann fragte ich mich, wie finde ich jetzt in die Wahrheit zurück.“

Sandra schaut ihn mit großen Augen an. Was passiert jetzt?
Christian lächelt sie an, kann dieses Lächeln noch lügen oder gar betrügen? Das muss doch Liebe sein!

„Ich habe den Kindern das Haus in Deutschland überschrieben, die Lebensversicherungen lauten auf Dich und mein kleines Vermögen werden wir wohl noch für schöne Dinge brauchen. Ehe ich es ganz vergesse, ich gehe auch nicht nach Australien, ich brauche den Job nicht. Ich weiß jetzt genau was ich in meinem Leben wirklich vermissen würde. Das bist Du, immer nur Du.“
Christian geht auf die Knie vor ihr und schaut sie lange an. Er beginnt, in seiner Jackentasche zu kramen.

„Ich habe da etwas für Dich, meine Rose.“ Er zieht ein Schmuckkästchen hervor. Behutsam öffnen seine Finger das Kästchen und dann strahlt ein Diamantring vor ihren Augen.

In dem Moment entsteht die Frage: Wer strahlt mehr, der Schmuck oder die Dame?
„Ich möchte Dich fragen, Sandra Meiergruber, willst Du meine Frau werden?“
Sandra strahlt noch mehr und aus ihren wunderschönen Augen, fließen die Tränen wie strahlende Diamanten.

„Ich habe gestern Nacht in die Sterne geguckt und ich bin mir sicher, ich habe eine Sternschnuppe gesehen. Ich kann es kaum fassen, am nächsten Morgen erfüllt sich mein lang ersehnter Traum. Ja! Ja! Natürlich will ich.“
Sie zieht ihn an sich heran und sie küssen sich heiß und innig. In einem kurzen Augenblick zwischen ihren Liebkosungen, streift ihr Christian den Ring an den Finger.
Sandra betrachtet immer wieder ihren Ring. Alle ihre verzweifelten Stunden der Vergangenheit sind wie im Rausche dahin. Sie schwebt auf Wolken und ist so richtig rundum glücklich.

„Es ist Sonntagmorgen Christian und ich würde gerne in ganz Linz meinen Ring zeigen, außerdem habe ich Hunger. Ich habe ganz vergessen Dir zu sagen, ich bin in anderen Umständen.“ Sie hebt ihre Hand zum Schwur. „Ich weiß es erst, seit ich bei der Frauenärztin war.“

Christian lacht laut und gibt ihr einen Kuss.
„Was würde gnädige Frau von einem Brunch im ersten Haus am Platz halten?“
Sandra streichelt seine Wange. „Oh, das würden der gnädige Herr für mich tun?“
Christian sagt ihm Brustton der vollen Überzeugung.
„Für Dich meine Rose ist mir kein Weg zu weit und nichts zu teuer. Außerdem vielleicht wird es ein Mädchen, schauen wir Mal. Ich bin auf jeden Fall total begeistert.“

Sandra lächelt glücklich. „Auf was warten wir noch?“
Sie gehen händchenhaltend durch die Innenstadt und am liebsten würde Sandra ihr Glück in die Welt hinausschreien.

Nein! Sie will lieber ihr Glück für sich selbst behalten. Es hinaus zu brüllen in den Tag, könnte auch bedeuten das Glück wieder zu verlieren, da schweigt sie dann doch lieber.

© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Autor des Romans „Das Chaos“

Sonntag, 15. August 2010

Am Ufer

Am Ufer

Am Ufer des Flusses steht ein Mann, er füttert die Wasservögel.
Eine Frau sitzt auf einer Bank, neben sich einen Kinderwagen und schaut dem Mann zu. Das Baby im Kinderwagen schläft.
Die Frau steht auf und geht zu dem Mann.
„Entschuldigung, mein Herr, ich sehe Sie fast jeden Tag. Arbeiten Sie etwa nicht?“
Der Mann, Mitte vierzig, dreht den Kopf zu ihr und meint.
„Frage ich Sie, was Sie hier machen tagein, tagaus? Ich füttere die Wasservögel und wissen Sie warum? Ich habe im Grunde kein zu Hause mehr und auch keine Arbeit! Nur ich mache mir daraus nicht mehr viel, nach über vierhundert Bewerbungen, da weiß man, wo man in dieser Gesellschaft noch seinen Platz hat.“
Die Frau ist leicht betroffen.
„Das tut mir aber leid für Sie, im Grunde habe ich es schon erwartet. Wissen Sie, ich stehe auch alleine in dieser Welt. Der Vater meines Kindes hat sich auf und davon gemacht.“
Der Mann grinst. „Sehen Sie, so hat eben jeder sein Päckchen zu tragen. Was sollen wir uns also weiterhin gegenseitig beklagen. Ich nehme an, Sie gehören auch zu den Hartz IV Empfängern.“ Die Frau lächelt. „In diesen Zeiten, sind wir wohl bald in der Überzahl. Wer hat heutzutage noch einen sicheren Arbeitsplatz?“ Der Mann winkt ab.
„Die Beamten allemal, die haben immer einen sicheren Arbeits-platz. Nun, was soll es, ändern können wir das sowieso nicht.“
Er faltet seine Brottüte zusammen und kommt auf den Gehweg zurück. Er steckt seine Hände in seine Manteltaschen,
ob schon er hat gewiss nichts zu verbergen. Er fühlt sich einfach sicherer, wenn er weiß, wo seine Hände sich befinden.
Die Frau schaut ihn offen an und ihr Gesicht strahlt. Vielleicht hat sie auch niemanden mit dem sie reden kann, sicher sie scheint noch jung an Jahren. Schätzungsweise um die dreißig,
nur bei Frauen, da weiß man so was ja nie so genau.
Eine Schönheit ist sie auch, nur es ist besser er schafft sich jetzt des Weges, anstatt sich noch auf lange Gespräche einzulassen, schließlich es wird für ihn auch langsam Zeit, zu gehen.
Zeit! Wieso?
Hat nicht gerade er mehr Zeit zur Verfügung, als er eigentlich braucht? Er verabschiedet sich von der Frau und geht davon, ohne auch nur einen Blick nach hinten zu werfen.
Aus, vorbei, davon und aus dem Sinn.
Der Abstand zwischen ihnen wird größer und er hofft es gelänge ihm, davon zu laufen. Vor wem oder was will er eigentlich jetzt davon rennen? Ist es nicht eher so, er bildet sich was ein und überhaupt, es gibt keinen Grund der Panik zu verfallen.
An einem Seitenweg bleibt er endlich stehen, blickt zurück.
Gott sei Dank, sie ist ihm nicht gefolgt. Jetzt kann er beruhigt
seine Wohnung aufsuchen. Er ist endlich wieder allein!
Die Post türmt sich zu Berge und auch ansonsten sieht es mehr, durcheinander denn aufgeräumt aus in seiner Stube.
An diesem Tag, da trifft er eine Entscheidung.
Die alten Zöpfe schneidet er ab, er schafft Ordnung in seinem Leben, nicht um jemandem zu imponieren, nein, nur für sich allein. Endlich wieder wohlfühlen, wissen, wer er ist und warum er überhaupt auf dieser Welt ist. Am späten Abend, endlich ist seine Wohnung wieder die Behausung eines Menschen, da fragt er sich so ganz nebenbei. Welchen Sinn kann es noch haben, seine Lieblingsstelle am Fluss aufzusuchen, jetzt, wo er dort mit Überraschungen rechnen muss?
Auf seiner Couch sitzend grübelt er so vor sich hin, bis ihn der Schlaf von dieser nicht leichten Frage erlöst. Am nächsten Morgen, da steht er vor dem Spiegel und sorgt sich um seine Figur und überhaupt, so ganz ohne Rasur, so geht es nicht weiter. Er rasiert sich und kleidet sich bewusst an. So gestärkt im Selbstvertrauen sucht er den Platz am Ufer des Flusses auf.
Sehr wohl sind da die Enten und die Schwäne, doch jene junge Frau ist leider nicht zu sehen. Er füttert die Tiere und denkt bei sich, wird wohl noch kommen die junge Frau, irgendwie ist er sich da auch sehr sicher. Die Stunden vergehen, der Tag welkt dahin, die Frau wart nicht gesehen.
Ist er jetzt enttäuscht?
Auf keinen Fall geschieht ihm Recht, schau er sich doch einmal genauer an! Welche Frau soll an so einem schon Gefallen finden, obendrein noch ohne Arbeit und eine manierliche Zukunft.
Hat er sich je für seine Zukunft interessiert? Nein!
Warum also sollen es dann die Anderen dürfen?
Es geht keinen etwas an!
Rechenschaft ist er nur sich selber Schuld. Im Grunde, er hat gewusst, dass es so kommt. Nur den Weg, er wird ihn gehen, endlich wieder ein Mensch sein unter Menschen.
Warum auch nicht?
Am späten Nachmittag geht er nach Hause, ohne jegliche
Gräuel, er hat abgeschlossen und verstanden. Sein Herz ist jetzt
verschlossen, kein Platz ist mehr für Enttäuschungen vorhanden. Er bleibt für sich alleine.
Und es wird wohl auch nicht mehr werden in diesem einen Leben. Was soll es? Geht es nicht Millionen von Menschen so? Genau! Er ist einer unter Vielen!
Diese Erkenntnis hebt doch gleich auch wieder seine Laune.
Am nächsten Tag und auch die nächste Woche, das gleiche Spiel,
er geht an das Ufer des Flusses und mit jeder Stunde wird ihm klarer. So langsam aber sicher naht der Herbst und dann, ist auch schon bald der Winter da, Weihnachten naht, aber danach,
da kommt auch wieder ein neues Jahr.
Vielleicht hat er da mehr Glück? Vielleicht regnet es in dem Jahr dann vom Himmel die Sterne.
Unsinn! Absoluter Schwachsinn, so etwas gibt es doch nur im Märchen.
Er seufzt und blickt in das trübe Wasser des Flusses, sieht sein Fell davonschwimmen, obschon er es gar nicht zu Markte tragen wollte. Jetzt aber, da scheint es davon zu rauschen, nimmt immer mehr an Fahrt auf in dem reißenden Fluss, um am Ende, ihn zurückzulassen.
Ganz allein, fürchterlich allein.
Schweren Schrittes geht er nun nach Hause, im Wissen, jetzt ist
auch die Jugend dahin und das Gesicht, im Wasser, es gleicht
einem alten Mann.
Ach, mein Leben, wann bist du mir abhanden
Gekommen? Meine Liebe auf welchen Pfaden wandelst du?
Könnte ich nicht auch ein Stück von dem Kuchen bekommen?
Nein! Du, nicht! Du bist und bleibst, was Du bist, Hartz Vier, nicht mehr und nicht weniger. Ja, vielleicht sogar nur ein Nichts!
Er hält sich die Ohren ganz fest zu.
Nein! Solches mag er nicht mehr hören, zumindest fühlt er längst schon anders. Und wie?
Die Antwort bleibt er schuldig, wie soll er sich auch ausdrücken,
wo er doch selber nicht genau weiß, wo der Schuh drückt.
Die Tage am Fluss sind nun nicht mehr so schön, keine junge Frau kommt mehr vorbei.
Und auch keine Abwechslung in Sicht. Traurig steht er da,
irgendwie hat er doch noch immer gehofft. Du alter Narr!
Am Abend in der Post, ist frohe Kunde, endlich er bekommt
einen ein Euro Job. Zugegeben, es ist nicht viel, doch für ihn,
da ist es die Welt. Endlich keine Tage mehr am Fluss,
endlich kann er sich in die Arbeit stürzen und die Frau vergessen.
Halt! Die beschäftigt ihn noch immer?
Wieso? Warum? Weshalb? Keine Ahnung!
Achselzucken und die Hände abwehrend heben. Kann ihm doch keiner in dieser Situation vergeben.
Im nächsten Monat ist er dann bei denen von der Diakonie. Er darf Möbel aus Wohnungen holen und in ihr Lager schleppen, dort sollen sie aufbereitet werden und verkauft an arme Leute. Die Arbeit ist körperlich schwer und manches Mobiliar, das mieft. Was beschwerst du dich?
Sei froh, du hast Arbeit, du bist endlich wieder unter Menschen, ein Teil der Gesellschaft. Nun ja, einer Gesellschaftsebene vielleicht, mehr auch nicht.
An einem Tag, da steht er in der Kleiderbörse und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da ist doch eine Frau, ganz Dame, kauft sich so manche edle Markenware für einen Apfel und ein Ei.
Wie geht dies an, so denkt er dann. Die Kollegin meint nur knapp, er solle hinter die Fassade schauen lernen, sich nicht ständig blenden lassen, von diesem wohl kaum vorhandenen Reichtum. Glaubt er wirklich Leute mit viel Geld, kaufen abgetragene Waren? Niemals!
Das versteht er auch nicht, entweder ist es maßloser Geiz, vielleicht aber doch auch nur mehr Schein als sein.
Wer kann es schon sagen in diesen merkwürdigen Tagen.
Die Zeit rinnt dahin, so als wäre sie gefangen in einer Sanduhr,
Tage werden zu Wochen und die wieder zu Monaten.
Auf einmal wird ihm bewusst, seine Zeit ist auch schon bald vorüber, dann wird er wieder warten müssen auf einen neuen Job.
Das neue Jahr, es ist kaum zu glauben, es bleibt genauso beschissen, wie das alte, vergangene Jahr.
Wie gerne würde er Koffer packen und einfach davonfliegen oder nur so fahren. Irgendwohin und nirgendwohin, Hauptsache raus aus dieser Stadt und dieser Enge und den Zwängen.
Leider, geht es nicht, zu wenig Geld und überhaupt, ein Hartz Vierer, der kann nicht machen wie er will!
Seine Hoffnung auf das Neue und vielleicht endlich bessere Jahr, die zerstäubt, verfliegt, noch ehe sie zu Keimen hat gewagt.
Hat er wirklich geglaubt, in seinem Leben werde sich etwas ändern? Naiv, nicht wahr?
Hat nicht jeder ein Recht auf seine eigenen Hoffnungen, Träume auch wenn sie nur zu Schäumen werden, oder gar platzen wie die Seifenblasen. Ist es nicht auch ein Stück von Wahrheit, wenn auch aus einer anderen Welt. Nun ja, jedem wie es gefällt, nur bitte nicht später klagen, weinen oder ob der Last auf seinen Schultern zusammenbrechen.
Immer weiter, fort, fort.
Da heißt es Laufen, flink, artig und geschwind.
Die behaupten ein Leben sei kurz, die sind wahrlich noch nie ein Leben lang gelaufen, sei es im Hamsterrad oder eben im großen Auslauf. Wer läuft, der merkt, wie lang ein Leben sein kann und sieht die Vielen, am Rande, die stehen bleiben, weil ihnen die Luft ausgeht.
Ihm nicht! Er macht weiter, irgendwie und irgendwann, da muss auch er einmal bei den Siegern sein.
Wann? Morgen! Übermorgen! Auf jeden Fall in der Zukunft. Er weiß es. Einfach so? Ja, einfach so!
Irgendwie ist es immer noch ein Fünkchen, wenn es auch kein Funke ist, der den Motor zum Laufen bringt, die Pumpe in Arbeit hält, so säuft er eben doch noch nicht ab, dümpelt dahin und daher, einem Ruderboot gleich, am Hafen liegend.
Keine große Fahrt direkt in Sicht, wohl aber die salzige Seeluft riechend, ächzend nach neuen Abenteuern.
Nur wo bitte sollen die her kommen, beim Tragen alter Möbel? Wer weiß? Vielleicht, nur sicher ist es nicht!
Die letzten Tage seiner Arbeit bei dieser Diakonie, verweilt er im
Innendienst, Möbel für den Verkauf herrichten.
Kein leichter Job, oft kaum zu ertragen.
So manchen Dreck muss er beseitigen und denkt sich:
Was sind Menschen doch nur für Schweine!
Keine Panik! Nicht Alle dafür eben Viele! Und überhaupt, warum hat er nicht einen richtigen Arbeitsplatz?
Überqualifiziert! Geht so was?
In den Augen derer, die meinen zu entscheiden, über Sein oder eben nicht, da gibt es so ein ungeschriebenes Gesetz: überqualifiziert!
Er würde bestimmt auch andere Arbeit annehmen.
Zu alt! Wie bitte?
Ist es wirklich so? Ab einem gewissen Reifegrad bist Du zu alt!
Wie kann und darf solches sein?
Frage bloß nicht, eine Antwort kriegst du so einfach nicht!
Schlicht gesagt, der Arbeitsmarkt hat seine eigenen Regeln,
die sind nun einmal fließend und somit kaum zu kriegen. Viel Spaß auf dieser schönen Welt, ohne Arbeit, ohne Geld und nicht zu verschweigen, der Freunde gibt es auch nicht mehr so viele. Ist logisch und klar, ohne Geld, bist du nur dritte Wahl.

Am Ufer des Flusses steht ein Mann, er füttert die Wasservögel.
Verdammt, da wird ihm bewusst, der Kreislauf beginnt von Neuem, geändert hat sich für ihn dabei wie immer eigentlich Nichts. Wirklich?
Jetzt hat er wieder viel Zeit, jeden Tag und doch es scheint sich nichts zu ändern. Es stellt sich da die bange Frage:
War es Unvermögen seinerseits? Ist er nur zur falschen Zeit geboren? Hätte er mehr aufpassen sollen, bei der Wahl seiner Eltern? Er schüttelt nur den Kopf.
Was für ein Blödsinn, welche Möglichkeiten waren ihm gegeben, bei diesem ach so blöden Spiel. Eigentlich er will nicht mehr!
Warum auch? Was hat es ihm schon groß gebracht?
Gelebt, dahin gewelkt, die Liebe nicht empfangen und auch ansonsten eher der Kälte ausgesetzt. Der Nestwärme allzu früh entzogen und dem kargen Leben vor die Füße geworfen.
Das ist doch einfach zu lösen, er braucht doch nur in diesen Fluss zu springen, zu ersaufen. Wer würde schon wegen einem wie ihm ein Meer der Tränen vergießen, geschweige den an einem Grab die Blumen mit Wasser benetzen oder gar trauern.
Die Antwort zu finden ist leicht: niemand!
Den Weg zu gehen, dafür fehlt ihm wieder einmal der Mut! Oder ist es gar nur die Dummheit?
Er sieht hinaus auf den Fluss und seine Augen sind eigentlich leer, keine Tränen mehr und auch keine Freude mehr im Herzen.
Hat es soweit kommen müssen? Hat er nun keine Ziele mehr im Leben? Aus, vorbei, Schluss!
Eine Frau sitzt auf einer Bank, neben sich einen Kinderwagen und schaut dem Mann zu. Das Baby im Kinderwagen schläft. Die Frau steht auf und geht zu dem Mann.
„Sie machen mir jetzt aber keine Dummheit hier?“
Erschrocken dreht er sich um, es ist wie vor einiger Zeit.
Da steht sie vor ihm, ist er nun in der Lage sich ihr zu erklären.
„Wo waren Sie eigentlich die ganze Zeit? Ich habe Sie überall gesucht, in dieser Stadt, doch zwischen den grauen Häusern, da fand ich von Ihnen keine Spur.“
Er schaut sie an, ihre Augen ,ihre Lippen, sie hat ein noch schöneres Gesicht. Er fragt. „Und haben sie ihren Mann
wieder gefunden?“ Sie lächelt ihn an. „Nun, der Erzeuger ist immer noch auf der Flucht, der Mann, der scheint aber schon sehr nahe zu sein. Ich will damit sagen, er scheint schon gefunden zu sein. Nur zappeln tut er noch wie ein Fisch an der Angel. Verstehen Sie ihn?“
Er schüttelt verneinend den Kopf. „Nein, solch einen Trottel, kann ich auch nicht verstehen. Eine Frau, wie sie zu missachten, der Kerl gehört wahrlich bestraft. So dämlich kann doch keiner sein!“
Sie lächelt wissend. „Doch, doch, glauben Sie mir das geht. Es gibt Menschen die haben eine besonders lange Leitung.“
Er lächelt verlegen. „Ja, von der Sorte kenne ich auch welche.“
Sie grinst und freut sich sehr, jetzt gilt es nur die Situation richtig einzuschätzen und den Fang in trockene Tücher legen. Er wird sich schon noch ihr zu verstehen geben, es dauert halt,
bei ihm auf jeden Fall.
Er ist sich nicht sicher, wie soll es nun weitergehen? Kann er doch nicht mit der Tür ins Haus fallen, am besten er vertagt, auf ein anderes Mal.
„Ich müsste gehen, die Zeit Sie verstehen?“
Die Frau lächelt wissend.
„Nicht ohne ein Versprechen und es ist zu halten.“
Er schaut sie mit offenem Mund an.
„Und was soll ich nun versprechen?“
„Ganz einfach, Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle und keine Ausrede mehr. Ich habe auch noch eine Menge Fragen.“
Er seufzt tief und schwer.
„Gut, Morgen hier an dieser Stelle. Ich werde da sein, versprochen.“
Er reicht ihr zum Abschied die Hand und sagt.
„Tschüß bis Morgen.“
Seine Schritte fliegen dahin und er sucht schon wieder das Heil in der Flucht. Wie blöd ist er eigentlich?
Abrupt bleibt er stehen, schaut sich um, will ihr noch einmal Winken. Nur, da steht niemand mehr. Das muss wohl eine Halluzination gewesen sein, anders kann er sich dies nicht mehr erklären. In seinen eigenen vier Wänden, sitzt er auf der Couch und fragt sich: Was ist da eigentlich passiert?
Was hat sie ihm eigentlich sagen wollen?
Er schaut vor sich hin, stiert die Tapeten auf und ab,
nur auch da steht die Antwort keineswegs geschrieben.
Tief in seinem Inneren, da spürt er ein so komisches Gefühl, überhaupt die Frau will ihm nicht aus dem Sinn. Ist es nicht so, da sprießt ein junges Pflänzchen, will beachtet werdet,
umsorgt und gepflegt?
Er fährt sich an seine Stirn und schreit. „Du alter Narr! Du dämliches Kamel! Du bist unter allen Ochsen dieser Erde, ungeprüft der Größte!“
Was ist nun zu tun? Klar! Morgen wird es Zeit, die Dinge endlich einmal richtig zu regeln, zu sagen, was zu sagen ist und nicht zu schweigen.
Doch meist kommt es anders, als gedacht. Hat er doch glatt einen Termin bei der Agentur für Arbeit vergessen. Wie peinlich!
So rennt er auf den Bus und von der Bushaltestelle zu eben jener besagten Agentur.
Lässt wie immer viel Gerede über sich ergehen, ohne einen nennenswerten Erfolg zu haben, schaut am Ende auf die Uhr. Ist es wirklich schon so spät?
Sein Herz, das bebt, sein Atem, der keucht und doch, an der Stelle, am Ufer des Flusses, da ist niemand mehr der auf ihn wartet. Enttäuscht lässt er sich auf die Bank fallen, seine Schuld, alles seine Schuld. Und jetzt?
Nun kann er frohlocken und sagen, er habe verloren, er sei nie und nimmer ihr ausgewählter gewesen. Die hat die Schnauze voll mein Freund! Da hast du einmal in deinem Leben,
an der wichtigen Stelle, zu lange gepennt!
So fragt er sich: Sind dies jetzt Schutzmechanismen. Oh nein, mein Freund! Das ist jawohl zu einfach gedacht, mag schon sein, von deiner Sorte gibt es noch mehr. Nur es gilt zu bedenken, es gibt auch Männer die sind nicht so blöd, sondern eher verwegen und draufgängerisch sind und denen gehört jetzt die Beute, die du nicht in der Lage warst einzufangen. Du törichter Esel!
Er sitzt auf der Bank die Hände gefaltet und sagt zu sich selbst.
„Ein Glück, so gibt es bestimmt einen Anderen, der glücklich wird und ich habe dabei auch noch geholfen. Das ist auch eine Form von Trost.“
Auf dem langen Weg zu seiner Wohnung wird ihm noch eines ganz deutlich vor Augen gehalten:
Die war zu jung für dich! Das wäre nie gutgegangen! Glaube mir, die Welt ist voll, von solchen Unglücken, sei dankbar, dir ist es nicht passiert. Da bist du eine löbliche Ausnahme.
In seiner Wohnung erdrücken ihn an diesem Abend förmlich die Wände. Er geht zu seinem Schrank, zieht eine dicke Decke hervor und seinen alten Rucksack. Eigentlich weiß er nicht so genau, was er tut. Nur irgendwie muss er sich beschäftigen.
Er packt so mancherlei hinein, in diesen Sack, neben den Sorgen und Nöten auch natürlich Proviant und zu guter Letzt, eine Thermoskanne Kaffee. In seiner kleinen Diele, zieht er sich seine
Oberbekleidung an und da es nieselt nimmt er auch noch einen Schirm mit. Wo will er den eigentlich hin so mitten in der Nacht?
Das wüsste er schließlich auch gerne, marschiert einfach drauf los. Im Leben gibt es halt solche eingetretenen Trampelpfade, zuweilen ist man froh darüber, aber meistens nerven sie nur, bei der Suche nach dem Neuen. So zieht es ihn durch die Nacht, ob es nun glaubhaft ist oder nicht, er landet natürlich wieder an seiner alten Stelle. Er setzt sich auf die Bank, es nieselt schon ein wenig mehr, den Rucksack neben sich, die Decke über die Beine geschlungen und den Regenschirm als letzte Trutzburg über sich.
Er schaut hinüber zum Fluss und sagt ganz leise.
„Du hast mich nicht ersaufen lassen, dann lass mich wenigstens auf dieser Bank entschlafen, vom Leben zum Tode, das wäre doch nur fair. Am Morgen in der Frühe finden sie mich und keinen wundert es mehr.“
Gedanken kannst du viele haben, wie ein Meer, Wünsche kannst du hauchen in den Sternenhimmel, einen ganzen Haufen.
Nur eins mein Lieber, so schnell stirbt es sich nicht!
Wir werden es ja am Morgen sehen.
In den frühen Stunden, langsam weicht die Nacht dem Tag,
er aber sitzt da, einem Häufchen Elend nah. Alles was in dieser Nacht geschehen, ist einfach und banal, eine Erkältung wird ihn packen, Husten und Heiserkeit, vielleicht gar noch ein leichtes glühendes Fieber. Das wird er von dieser Nacht haben, nicht viel schönes aber auch nicht mehr. Die Nase tropft bereits und auch der Kaffee ist längst nicht mehr heiß. Es nieselt immer noch und nicht nur die Wolken hängen tief, nein, auch eine dicke Nebelsuppe hat sich breitgemacht. Um es ehrlich zu sagen, bei diesem Wetter schicken sie nicht einmal eine Sau vor die Tür.
In seinem Körper machen sich die Auswirkungen dieser unbequemen Nacht breit, auch das Atmen fällt ihm schwer.
Wen dies Mal gut geht, du alter Narr!
Was hast du dir bloß dabei gedacht? Nichts!
Ich denke einfach zu wenig wird ihm bewusstbewusst.
Endlich mit dem hereinbrechenden Tageslicht setzt nun auch der Nieselregen aus, davon aber kriegt er nur noch wenig mit,
die Augen fallen ihm zu. In der Ferne hört er das Klappern von Frauenschuhen und da ist er sich sicher, einen Kinderwagen.
Ja, ein Kinderwagen ist auch dabei. Natürlich!
Er hat es doch gehört, laut und deutlich.
Eine Feder umstreicht seine Wangen, leicht und zart, sie duftet,
er fühlt sich rundum wohl. Er öffnet zaghaft die Augen.
Was steht da direkt vor ihm und lächelt ihn an. Ein Kinderwagen, da sitzt ein Baby, schaut ihn mit großen Augen an und gluckst vor sich hin. Ein Baby?
Moment! Da stimmt etwas nicht. „Wird langsam Zeit, ich dachte schon ich müsste den Notarzt rufen.“
Er ist viel zu weit weg, um zu erschrecken oder gar die Flucht anzutreten. „Was machst du bloß für Sachen? Das wird sich
jetzt wohl endgültig ändern. In Zukunft werde ich da ein Wörtchen mitreden. Was hast du eigentlich dieses Mal für eine Ausrede parat?“
Er dreht den Kopf zur Seite und schaut sie an.
„ Wie heißt du eigentlich?“
Sie lacht. „Ich habe nicht mehr erwartet, diese Frage in meinem Leben zu hören? Zumindest von dir! Ich heiße Anette. Und du?“ „Stefan, Stefan heiße ich.“
Das Reden fällt ihm deutlich spürbar schwer, er hüstelt dabei. Sie lächelt ihn an.
„Und was war nun gestern?“
„Ich habe das Arbeitsamt vergessen und so bin ich zu spät hier gewesen, du warst schon fort.“
Anette nimmt seine Hand, sie ist kalt und immer noch leicht feucht vom Nieselregen.
„Na, dann haben wir ja was gemeinsam. Klein Lisa musste nämlich zur Vorsorgeuntersuchung und die habe ich auch vergessen. Ich denke wir sind jetzt quitt und reif für die
Zweisamkeit oder sollte ich nicht sagen, Familie mit Kind.“
Er lächelt still vor sich hin und meint.
„Dann hat der Fluss mir am Ende doch noch Glück gebracht.“ Anette straft mit dem Zeigefinger und meint.
„So nicht!“
Er versteht und meint. „Uns Glück gebracht.“
Sie fällt ihm um den Hals und sie geben sich einen langen Kuss. Klein Lisa sitzt derweil im Kinderwagen und klatscht in die kleinen Händchen. Ob, das wohl Beifall sein soll?
Auf jeden Fall hat der Fluss zusammengeführt, was nun zusammengehört.

Samstag, 15. Mai 2010

Gevatter Tod und das üble Geschäft mit dem Ablass.

Gevatter Tod und das üble Geschäft mit dem Ablass.

In einem Haus sich fanden einst, Gevatter Tod und ein alter Tattergreis.

Der Alte sprach mit seinem falschen Gebiss und faltigen Gesicht. „Was willst du von mir? Ich habe dich nicht gerufen!“

Abwehrend erhob er seine Hände.„Ich will noch nicht! Einmal möchte ich noch einer jungen und schönen Frau den Hof machen. Ich habe schließlich keinen Erben. Ich möchte wie einst im Mai ausgelassen zum Tanz schreiten. Ich bitte dich, schenke mir die Jugend für ein Jahrzehnt.“

Gevatter Tod setzte ich auf einen Stuhl, blickte seine Sense an. „Warum sollte ich dir die Jugend schenken für ein Jahrzehnt? Ich nehme dich gleich mit und die Angelegenheit ist geklärt.“

Der alte Tattergreis flehte auf den Knien, der Tod möge ihn erhören. „Du bist doch der Gevatter Tod, so bist du doch mit mir verwandt.“

Der Tod blickte ihn überrascht an. „Natürlich bin ich mit Dir verwandt. Wie heißt es doch so schön, von der Wiege bis zur Bahre, ständig ich dich begleitet habe. Allerdings wird dieser Einwand euch wenig nützen alter Mann. Seht, da könnte jeder Mensch auf die Idee kommen sich so noch Zeit, zu schinden.“

Der alte Tattergreis sah nur noch eine Möglichkeit. „Ich werde dem Gevatter Tod dafür mein ganzes Vermögen hinterlassen.“

Der Tod rieb sich mit der rechten Hand an seinem Kinn.

„Was soll ich mit materiellen Werten? Was ich raube, ist das Leben, das ist für mich interessant. Ich bin bereit einen Handel mit Dir einzugehen mein alter Tattergreis. Du bekommst von mir die Jugend für eine Zeit von zehn Jahren. Dafür bringst du mir jedes Jahr eine Jungfrau, die dir ein Kind gebärt. Mir aber werden die Jungfrau und das Kind gehören.“

Der alte Tattergreis reichte zitternd die Hand zum Bunde. Es dauerte nicht einmal eine Sekunde.

Gevatter Tod war verschwunden und ein stolzer Mann stand nun mitten in dem Raum ganz allein.

Die Zeit begann nun erneut durch seine Hände zu rinnen. Der Handel mit Gevatter Tod, der war längst vergessen. Es dauerte nur kurze Zeit und die erste Jungfrau fand sich in seinen Armen wieder. Neun Monate später gebar die Frau das Kind. Zwei Tage später lag es tot in seinem Bettchen. Die arme Frau starb fünf Tage später. Die Trauer beim Manne war groß, doch noch größer war die Gier nach des Weibes Rocke.

So wurde die zweite Jungfrau in seinen Händen in bessere Umstände gebracht und am Ende samt Kind zu Grabe getragen. Es geschah, wie es vereinbart war.

Jedes Jahr bekam Gevatter Tod, die von ihm gewünschte Frau samt dem toten Kinde.

Ein Jahrzehnt ist keine Ewigkeit und die Zeit verfliegt zuweilen wie im Sturm.

Nun war es denn soweit, Gevatter Tod erschien erneut um seinen alten Tattergreis zu holen.

„Was willst du von mir? Ich habe dich nicht gerufen!“
Abwehrend erhob er seine Hände. „Ich will noch nicht!“

Der Tod hingegen grinste ihn an.

„Du hast gespielt mein Freund und hast verloren. Wärest du weniger der Gier und Sucht erlegen, dann wären dir die Frau und der Erbe gegeben. Leider hast du alles deiner Eitelkeit und deinem Jugendwahn geopfert, ein wahrlich schlechter Handel.“

Der alte Tattergreis schaute den Gevatter Tod mit schreckgeweiteten Augen an. „Ich alter Narr, so habe ich am Ende wieder keinen Erben. Das ist für mein schwaches Herz zu viel.“

Er fiel zu Boden, wie eine gefällte Eiche.

Gevatter Tod beugte sich über den Leichnam und sprach. „Wenn Gier und grenzenloser Egoismus sich deiner Seele bemächtigen, kannst du auf Erden niemals mit erhobenem Haupt und Würde aus dem Leben gehen. Im Reich der Toten warten jene schon auf dich, für deren Unglück zu Lebzeiten, du die Mitschuld trägst. Das ist das Ende und einen Rückweg gibt es nicht!“

© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany,
Autor des Romans „Das Chaos“

Freitag, 25. Dezember 2009

Madame Elaine Perrault

Am frühen Morgen ist Serge in meiner Begleitung mit dem kleinen Boot hinausgefahren. Unser Ziel war eine Stelle an der es Langusten gibt. Erfreut stellen wir fest, vier große Langusten sind unser Fangergebnis. Schweigend fahren wir zurück zu unserer Bootsanlegestelle. Ich nehme meine Angelausrüstung und setze mich auf die Kaimauer.

Serge zündet sich eine Gitanes an und hüllt sich gleich in weißen Rauch ein. „Willst du auch eine Gitanes, Jean?“ Er hält mir die Packung unter die Nase. „Behalte deine Sargnägel für dich.“ Serge ereifert sich. „Na höre Mal, ausgesprochen freundlich bist du an diesem Morgen nicht. Ich biete dir eine Zigarette an und du quatschst irgendeinen Blödsinn von Sargnägeln.“ Ich atme tief durch und lache. „Das ist meine Art von Galgenhumor.“

Serge schaut mich besorgt an. „Du fällst mir noch von der Kaimauer ins Wasser. Was glaubst du eigentlich was du da machst?“ „Ich angele, das sieht man doch!“ Serge grinst. „An dieser Stelle wirst du noch in drei Tagen sitzen und kein Fisch wird anbeißen.“ Ich verteidige mich. „Ich habe einen erstklassigen Köder.“ „Das ist keine Frage des Köders, diese Stelle ist einfach nur ungeeignet.“ „Lieber Serge, du bist Chefkoch und kein Fischer.“ „Lieber Jean, du bist garantiert kein Fischer.“

In meinem Rücken erklingt eine weibliche Stimme. „Was machst du auf der Kaimauer, Jean? Wo sind meine Langusten?“ Serge zeigt auf das Boot. „Habe ich dich gefragt? Bekomme ich bald eine Antwort, Jean.“ Ich klettere von der Mauer und lege meine Angel auf die Brüstung. „Kein Wunder, hier kann kein Mensch einen Fisch fangen, bei dem Lärm.“

Madame Elaine Perrault klatscht in die Hände. „Auf! Auf! Zeige mir den Fang.“ Ich gehe zum Boot und werfe einen Blick auf die Reuse. „Es sind vier Madame.“ Die Dame betrachtet den Fang genauer und nickt zustimmend. „In Ordnung, bringt die Langusten zum Haus. Die wird es heute anlässlich meines Geburtstages geben. Ich muss noch ein paar Erledigungen machen. Wir sehen uns dann später.“ Sie drückt mir einen zarten Kuss auf meine linke Wange.

Serge schaut mich fragend an. „Was willst du, Serge?“ „Hast du gewusst, dass sie heute Geburtstag hat.“ „Nein, ich habe es vergessen.“ Serge haut sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wie blöde bist du eigentlich? Lass mich raten, du hast natürlich auch kein Geschenk für Madame!“ Ich zucke mit den Achseln. „Vergessen.“ Serge brüllt. „Du hast was? Vergessen! Bist du eigentlich noch ganz normal. Eine Frau wie diese bekommst du so schnell nicht mehr.“

Wir tragen die Langusten zum Haus. „Wer sagt überhaupt, dass ich Madame will?“ Serge wütend. „Ich! Du Schwachkopf! Manchmal frage ich mich ob du überhaupt in deinem Kopf so etwas wie Intelligenz hast? Du bist ein typischer Mann! Vergisst den Geburtstag seiner Angebeteten.“

Wir stellen das Behältnis mit dem Fisch auf dem Küchentisch ab. Die Köchin schaut mürrisch zu uns herüber. „Wie ich sehe darf ich wieder die Arbeit machen. Wieso kocht heute eigentlich nicht der 5 Sternekoch, Monsieur Serge?“ Serge zieht tief Luft ein. „Eine noch dümmere Frage kann diese Köchin nicht stellen! Monsieur Serge hat zurzeit Urlaub. Das steht groß an der Tür meines Restaurants verkündet.“ Die Köchin mault. „Wenn ich die Herren so betrachte, dann habe ich das Gefühl, sie haben das ganze Jahr Urlaub.“

Das reicht, zu mindestens uns. Wir kehren ihr den Rücken zu und verlassen verärgert ihr Küchenreich. Serge zeigt zur Kellertür. „Sollten wir nicht ein wenig Wegzehrung mitnehmen? Ich denke der Keller wird uns mindestens zwei Flaschen Chablis her geben.“ Ich flüstere leise. „Die Köchin zählt die Flaschen.“ Serge grinst. „Und, hat die hier etwas zu melden?“ „Nein! Natürlich nur Madame Eliane Perrault.“

Wir steigen die Stufen hinab in den Weinkeller und Serge meint beiläufig. „Mache mir einen gefallen und lasse den ganzen Unsinn weg. Sie heißt Elaine, wann begreifst du das?“ Ich suche derweil den Wein aus. „Wenn dir so viel an ihr liegt, Serge, dann heirate doch deine Elaine.“ Mein Freund schüttelt den Kopf. „Ich würde sie sofort heiraten, Elaine will aber dich. Eine bessere Partie findest du in der ganzen Bretagne nicht. Die Frau hat Geld, sieht gut aus und akzeptiert einen Lebenskünstler wie dich. Was willst du eigentlich noch mehr?“

Ich habe endlich den Wein gefunden und lege die Flaschen in einen Weidenkorb. Serge hat einen Flaschenöffner und zwei saubere Gläser entdeckt. „Junge, Junge, ich werde Elaine sagen, dass du sie liebst und jetzt hauen wir endlich ab, bevor die alte Köchin uns noch verdrischt.“ Serge nimmt mir den Korb ab. „Nur damit du Bescheid weißt, wir gehen jetzt erst einmal für Elaine ein Geschenk besorgen.“ Ich muss anlässlich dieser Hartnäckigkeit grinsen.

„Heute mein Freund ist Sonntag, da werden wir wohl allenfalls ein paar Feldblumen auftreiben.“ Serge tippt mir auf die Brust. „Du wirst ihr ein anständiges Geschenk überreichen und wenn ich die Ladenbesitzer einzeln in ihre Geschäfte schleppen muss.“ Das beeindruckt mich nun überhaupt nicht, große Sprüche waren ein Bestandteil seines ganzen Lebens.

Ich will nicht verhehlen peinlich ist mir die Angelegenheit schon. Während wir das Haus verlassen, kommt mir ein Gedanke. Wie kann Madame Elaine Perrault an einem Sonntag noch Erledigungen machen? Vielleicht hat sie gar einen Freund, den Apotheker, Arzt oder den Bäcker, wer weiß schon was in einer Kleinstadt so alles hinter dem Rücken der Öffentlichkeit passiert?

Der alte Fuchs, Serge, stellt den Weidenkorb auf dem Boot ab. Anschließend gehen wir durch die Innenstadt. Wie ich vermutet habe sind an diesem Sonntag die Geschäfte zu. Lediglich eine Art Trödlerladen hat geöffnet. Eine junge Dame schleppt gerade Kisten in das Geschäft. Wir folgen ihr und schauen uns die Auslagen an.

Irgendwann bemerkt die junge Frau ihre Besucher. „Hallo! Meine Herren heute ist Sonntag, da habe ich geschlossen.“ Ich lächele sie freundlich und ergeben an. „Entschuldigung, Madame, meine Freundin hat heute Geburtstag und ich möchte ihr noch ein Geschenk besorgen.“

Die junge Dame schüttelt missbilligend den Kopf. „ Ich frage mich immer wieder, was wir Frauen an euch Männern finden? Ihr vergesst ohne Not unsere Geburtstage, Verlobungstage, Heiratstage und was weiß ich alles. Na gut, eine Ausnahme, aber nur eine und nur an diesem Sonntag. Verstanden!“

Serge nickt zustimmend. „Mir passiert so etwas nicht, dem Typ hier laufend.“ Die junge Dame schaut sich in ihrer Auslage um. „Was soll es sein? Wie alt ist die Dame? Wie heißt Madame?“ Wahrheitsgemäß antworte ich. „Madame Elaine Perrault und es ist nicht anständig über das Alter einer Dame zu reden.“

Die junge Frau wird bleich im Gesicht. „Sie meinen doch nicht etwa die Perrault mit dem großen Anwesen?“ Ich frage etwas amüsiert. „Gibt es noch mehr von der Sorte?“ Die junge Dame verneint. „Ich glaube kaum. Das Geschenk für die Dame hätte ich.“
Sie geht zu ihrem großen Ladentisch und öffnet eine Schublade. Zum Vorschein kommt eine Schmuckschatulle. Die Frau stellt die Schatulle auf dem Ladentisch ab und öffnet das Kästchen. Was ich nun sehe, verschlägt mir den Atem. Vor meinen Augen kommen eine Kette, ein Armband und ein Ring zum Vorschein, die mir mehr als bekannt vorkommen. ich frage leise. „Woher stammt dieser Schmuck?“

Die junge Frau zuckt nicht wissend mit den Schultern. „Ich habe den Laden vor ein paar Monaten übernommen, nach dem ich mein Studium in Paris beendet habe. Merkwürdig ist, der Schmuck war bereits hier in diesem Tisch. Fragen Sie mich bitte also nicht nach seiner Herkunft. Es erscheint mir allerdings, als sei er ist ihnen wohlbekannt?“ Serge stupst mich an. „Die Dame hat dir eine Frage gestellt.“

Ich nicke. „Ich kenne diesen Schmuck, dieses Kunstwerk ist in der Zeit Napoleons Bonaparte angefertigt worden von einem Juwelier in Paris. Dieser Schmuck gehörte einer bedeutenden Frau.“ Die junge Frau schaut mich überrascht an. „Dann ist der Schmuck sehr viel Geld wert?“

„Das kann ich nicht beurteilen aber ich würde schon behaupten wollen, dass er auf einer Auktion sehr viel einbringen könnte. Der Schmuck selbst dürfte aber bestimmt immer noch als gestohlen gelten.“ Serge schüttelt den Kopf. „Du willst doch nicht behaupten, die junge Dame habe den Schmuck gestohlen?“

„Nein! Das ist doch viel früher passiert. Die Frage ist doch nur, wie viel soll der Schmuck kosten? Ich möchte die Dame nicht über das Ohr hauen.“ Die junge Frau lächelt mich freundlich an. „Sie hätten mir nichts erzählen müssen, Monsieur. Meine Preisvorstellung wäre erst einmal zweihundert Euro gewesen. Was halten Sie von dem Preis?“

Ich besitze tatsächlich noch dreihundertfünfzig Euro vor der Pleite. Im Grunde verdanke ich Madame Elaine Perrault eine ganze Menge. Irgendwie werde ich auch das Gefühl nicht los, diesen einzigartigen Menschen schon seit sehr langer Zeit zu kennen. Mein Entschluss steht fest.

„Jawohl, Madame, ich werde ihnen den Schmuck für diesen Preis abkaufen. Gerne würde ich ihnen mehr geben, nur meine Vermögensverhältnisse lassen dies augenblicklich nicht zu.“ Die junge Dame grinst. „Es würde mir schon zur Ehre gereichen, wenn sie mich bei Madame positiv erwähnen.“

Ich verneige mich vor ihr. „Das werde ich selbstverständlich tun. Ich habe übrigens gelesen, sie restaurieren auch Bilder, Madame hat eine große Gemäldesammlung zeitgenössischer alter Meister. In dem Bereich gibt es eine Menge Arbeit.“

Die junge Dame hält mir das Verpackte Geschenk vor die Nase. „Sehen Sie, Monsieur, so können wir uns doch gegenseitig helfen.“ Ich reiche ihr das Geld und sie bedankt sich. „Es hat mich gefreut mit Ihnen Geschäfte machen zu dürfen, Monsieur.“ Ich reiche ihr die Hand. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Madame.“

Auf der Straße meint Serge. „Damit du es weißt, du hast die Kleine ganz schön angebaggert. Das ist nicht fair gegenüber, Elaine.“ Ich bleibe stehen und mustere ihn aus meinen dunklen Brillengläsern. „Ich habe mit der jungen Dame lediglich Konversation betrieben.“ Serge faucht wie ein Walross. „Du bist und bleibst ein alter Frauenbetörer!“

Ich lache laut auf. „Ich habe noch ganze hundertfünfzig Euro vor meiner endgültigen Pleite. Willst du mir meinen letzten Stolz auch noch nehmen?“ Serge schaut mich bekümmert an. „So schlimm steht es um dich?“

„Ja! Ich habe sogar die Auftragsarbeit angenommen, die Memoiren eines adligen Spaniers zu schreiben.“ Serge klopft mir mitleidig auf die Schultern. „Weißt du was, darauf nehmen wir einen Chablis. Die Welt sieht gleich besser aus. Dir scheint es ja mächtig dreckig zu gehen. Was ich nicht verstehe, warum nimmst du nicht Elaine zur Frau?“

Ich winke ab. „Wie soll ich um ihre Hand anhalten. Vielleicht mit dem Spruch, ich bin chronisch pleite und auch ansonsten ist nicht mehr viel mit mir los. Was hätte ich zu bieten, was eine Frau interessieren könnte?“

Serge sieht diese Sache vollkommen anders. „Im Leben geht es nicht immer nur ums Geld. Du bist liebenswürdig, zuverlässig und anständig. Du kannst sehr charmant sein und eine Frau fühlt sich durchaus in deiner Gegenwart wohl. Glaubst du etwa solche Werte zählen nicht?“

„Um ehrlich zu sein, Serge, in dieser Welt zählen solche Werte rein gar nichts, da zählt nur die Kohle.“

Serge betritt vor mir das Boot. „Ich weiß nicht, wenn die Welt tatsächlich nur noch so wäre, dann wäre es eine schlechte Welt.“

„Das mein Freund, kommt auf die Seite des Betrachters an. Die Menschen haben ein gutes Recht auf ihr eigenes Leben und Gedankengut. Die Masse der Menschen hat sowieso keine Zeit mehr, die hetzen nur noch hinter ihren vermeintlichen Erfolgen und Gelderträgen her.“

Serge grinst. „Na, wenn das so ist, dann wollen wir jetzt ganz gemütlich unseren Chablis genießen. Übrigens was würdest du zu einem Stück Käse sagen?“ Ich nicke zustimmend. „Käse esse ich immer gerne.“

Während wir gemütlich über Gott und die Welt plaudern nähert sich uns bereits Madame. Sie taucht plötzlich und vor allem von uns unerwartet auf.

Natürlich bin ich überrascht, ihr Aussehen lässt keine Zweifel mehr offen, sie muss einen Liebhaber haben. Ob es der Friseur ist? Nein! Der Bock ist schließlich zu alt. Sie fragt ganz ungeniert. „Was bewunderst du mich so, Jean?“

Bewundern? Ich doch nicht! Ich frage mich eher, welcher Kerl dahinter steckt, obschon es mich doch überhaupt nichts angeht. Stattdessen versuche ich mich in Schadensbegrenzung.

„Madame haben ihre Haare verändert.“ Sie setzt sich neben mich und das Unheil nimmt seinen Lauf. Es knackt leicht unter ihrem Gesäß beim Versuch sich zu setzen. Madame schaut nun genauer nach. Es gibt keine Chance mehr das Missgeschick zu verhindern.

Unter meiner Nase winkt nun ein Geschenk. „Was bitte ist das für ein Geschenk, lieber Jean?“ „Das Madame Perrault ist ein Geschenk für das Geburtstagskind.“ Elaine kichert. „Serge, was hat der schon getrunken?“ Der bekreuzigt sich. „Madame Perrault, garantiert nur ein Glas Wein, ich schwöre es bei allem was mir heilig ist.“ Nun lacht Madame laut schallend. „Das kann nicht besonders viel sein, Serge. Jetzt zu dir mein Liebster, wann gewöhnst du dir endlich dieses Madame vorne und hinten ab. Ich heiße Elaine, ist der Name so schwer auszusprechen?“

„Nein, ich meine, ich will sagen.“ Elaine fährt mir über den Mund. „Es wäre gescheiter du machtest einfach für die nächste Zeit deinen Mund zu, sonst verdirbst du mir noch die Freude. Darf ich mein Geschenk auspacken?“

Ich nicke zustimmend und bleibe artig ruhig. Serge hingegen grinst sich voll eins weg. Tolle Leistung auf Kosten anderer! Elaine hat die Schmuckschatulle bereits auf ihren Beinen liegen. Ungefragt nimmt sie mein Weinglas aus der Hand und trinkt einen Schluck von meinem Wein. Serge grinst mich jetzt noch breiter an. Ich hingegen habe ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und eine Art von Ahnung beschleicht mich, gleich wird es noch heftiger zu gehen. Madame öffnet den Deckel und ein merkwürdiges Strahlen liegt plötzlich auf ihrem Gesicht. Sie streichelt zart den Schmuck.

Serge meint ruhig und gelassen. „Ein schöner Modeschmuck, wenn auch nicht ganz alltäglich.“ Madame Perrault hebt den Kopf, schaut verständnislos Serge an. „Du alter Schwachkopf! Du hast doch wirklich keine Ahnung, allenfalls von deinen Kochtöpfen.“

Serge nimmt es ihr keineswegs Übel, er gießt sich ein Glas Chablis ein und prostet ihr zu. „Auf ihr Wohl, Madame.“ Elaine drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss. Serge witzelt. „Muss Liebe schön sein, wenn ich groß bin will ich auch einmal.“ Elaine lächelt mich an.

„Woher wusstest du?“ „Ich habe es gefühlt, dieser Schmuck ist von großer Bedeutung.“ Elaine nickt bedeutungsvoll. „Ja, dieser Schmuck ist von sehr großer Bedeutung für die Frauen des Hauses Perrault. Leider wurde er uns gestohlen. Jetzt kehrt er endlich in unseren Besitz zurück.“ Elaine streift sich das Armband an, legt sich die Kette um und reicht mir den Ring. „Kannst du mir bitte den Ring überstreifen?“

Ich ahnungsloser Mensch tue es natürlich, aus reiner Höflichkeit versteht sich. Ob dieses für mich Folgen haben wird?

Elaine streckt die Hand aus in Richtung Serge. „Siehst du Serge, jetzt habe ich doch noch meine Geburtstagsüberraschung bekommen, das ist mein Verlobungsring.“

Ich bin wohl überrumpelt worden oder sehe ich die Angelegenheit im falschen Licht? Ich bekomme ganz schnell Klarheit. Elaine gibt mir einen Kuss auf den Mund. „Jetzt sind wir Verlobte, Jean. Du willst mich doch?“

Mache jetzt bloß keinen Fehler Jean, dazu habe ich keine Zeit, zu sehr bin ich sprachlos. Mein Gefühl in der Magengegend und diese komischen Schmetterlinge haben mich also nicht betrogen. Allerdings es ist noch nicht vorbei, im Gegenteil es ist noch schlimmer geworden, ich brenne voller Leidenschaft und Liebe.

Die Ernüchterung bringt Serge. „Was ist also an dem Schmuck echt? Der liegt so einfach in einer Ladentheke rum, das ist doch merkwürdig.“ Elaine grinst. „Dieser Schmuck, mein Bester, wurde in Paris hergestellt mitten in den Wirren der französischen Revolution. Diese grünen Steine sind Smaragde, eingefasst mit weißen Perlen und das was hier so funkelt sind Diamanten. Hast du noch eine Frage?“ Serge der gerade genüsslich an seinem Rotwein kostet, verschluckt sich.

Elaine nimmt das Geschenkpapier und stutzt. „Jean, wer ist diese Nadine Perrault?“ Ich antworte nach besten Wissen und Gewissen. „Ich kenne keine Nadine Perrault.“ Madame nimmt ihren Zeigefinger um mir deutlich zu machen, was sie von Falschaussagen hält. „Schwindele mich nicht an, du kennst die Dame.“ Ich grinse sie an. „Also wirklich Elaine, kaum bist du verlobt, da machst du schon Eifersuchtsszenen.“ Ihre Antwort hält sie mir vor meine Augen. Ich lese deutlich, Nadine Perrault, Rue de l´odéon 14, 6 arrandissement Paris.

„Das muss wohl die junge Dame in dem Laden erklären können. Ich muss zugeben ich habe nicht nach ihrem Namen gefragt. Eigenartig ist nur, sie bat mich um eine Empfehlung. Immerhin versteht die Frau sich auf die Restaurierung von Gemälden.“ Elaine klatscht in die Hände. „Gut mein Lieber, dann lass uns die junge Dame aufsuchen. Ich möchte das Mädchen sehen und mit ihr reden.“ Ich erhebe mich.

Serge hingegen meint trocken. „Ihr zwei Turteltäubchen habt sicher nichts dagegen wenn ich euren Chablis mittrinke.“ Eine Antwort bekommt er nicht, wir sind auf dem Weg zu diesem kleinen Trödlerladen.

Ehrlich gesagt, ich habe wenig Hoffnung dort noch eine offene Tür vorzufinden. In dem Punkt irre ich gewaltig. Die Tür zu dem Laden steht wie am Morgen offen. Ich lasse Elaine den Vortritt. Nun gibt es Erscheinungen im Leben, die sind nicht nur merkwürdig sondern haben den Beigeschmack der Mystik.

Während Elaine sich in dem Geschäft umsieht, mache ich im Nebenraum eine für mich ungeheuerliche Entdeckung. Vor meinen Augen steht die Glasvitrine von Napoleon Bonaparte. Das kann nun wirklich jeder Mensch behaupten. Das einzigartige sind die Bewohner dieser Vitrine. Es sind alle Soldaten des napoleonischen Heeres vertreten, vom Trommler bis zum General. Die Figuren sind aus Zinn gegossen und ihre Kleidung und jeweilige Bewaffnung ist bis ins kleinste Detail vorhanden. Dieser Anblick versetzt mich in meine Jugend. Oft habe ich vor dieser Vitrine gestanden und die Figuren bewundert, da war Ehrfurcht in mir. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen diese Figuren zum Spiel zu nutzen. Kein Mensch musste mir erklären welchen ungeheuerlichen Wert diese Sammlung hatte. Meine Großmutter war gezwungen aus Geldnot diese Vitrine zu verkaufen. Das habe ich nie verstanden, geschweige denn wirklich begreifen wollen. Bittere Tränen waren geflossen und tiefe Trauer hatte mein so junges Herz erfasst. Ich hätte nie in meinem Leben geglaubt dieser Vitrine jemals wieder zu begegnen. Jetzt stehe ich unmittelbar davor und fasse mein Glück kaum.

Elaine steht still hinter mir, lehnt sich an den Türrahmen. Sie hat sofort erkannt um welche Sache es geht. „Das ist die Vitrine aus eurem Salon. Ich kann mich gut daran erinnern, davor stand der Flügel und an der Wand das Klavier. Ihr hattet damals noch Geld.“ Ich sage ein wenig ernüchtert. „Wir haben alles verloren.“ Elaine sagt zärtlich. „Das stimmt so nicht. Betrachte es genau, du hast das Vermögen und die Macht verloren; aber nur um daraus zu lernen. Außerdem hat die Familie Perrault in dieser Zeit im Gegenzug ein Vermögen aufgebaut. Du hattest hingegen die Zeit zur Reife und jetzt bekommst du die Frau und die Macht. Was gilt es nun noch der Vergangenheit nach zu trauern. Die Vitrine werden wir kaufen und damit wäre dann wohl die Angelegenheit geklärt.“

Ich nicke zustimmend. „Dein Einwand stimmt, es ist nicht gut der Vergangenheit nachzutrauern, darüber wird oft die Zukunft verschlafen.“

Elaine scheint zufrieden. „Gut, wenn du diese Fakten erkannt hast. Jetzt bleibt nur noch die Frage. Wo steckt diese junge Dame?“

Diese Frage ist gut, immerhin sind wir schon eine geraume Zeit in diesem Laden. Wenn es in unserer Absicht liegen würde, so hätten wir genügend Zeit gehabt um das Geschäft auszuräumen. Ich finde diese Situation merkwürdig und verlasse das Geschäft. Elaine folgt mir instinktiv. „Spürst du auch, hier stimmt etwas nicht, Jean. Das Mädchen ist sicher in Gefahr.“

Genau, ich habe so ein merkwürdiges Gespür. „Du bleibst vor dem Laden, Elaine. Ich werde mir das Haus genauer ansehen.“ Ich betrete erneut das Geschäft und suche nun alle Räume systematisch ab. Aus einem der Zimmer höre ich ein Stöhnen. Langsam öffne ich die Tür und werfe einen Blick in den Raum. Am Boden liegt eine Frau und auf der Frau liegt ein Schrank. Ihre Augen schauen mich hilfesuchend an.

Während ich die Tür weiter öffne, stürmt bereits Elaine an mir vorbei. „Madame Perrault, sie schickt der Himmel.“ Elaine schaut mich fragend an, doch ich weiß hier im Moment auch keine Antwort. Vielleicht ist man sich irgendwann in Paris über den Weg gelaufen.

Elaine beugt sich besorgt über die junge Frau. „Was haben Sie angestellt?“ Die junge Frau seufzt. „Ich wollte den Schrank aufbauen und dann ist plötzlich alles zusammengebrochen und ich mittendrin. Ich bin so unglücklich gefallen, ich kann mich nicht selber befreien.“ Ich nicke. „Das sehe ich. Haben Sie vielleicht Schmerzen?“

„Nein! Ich habe Angst.“ „Das finde ich gut, sie sind wenigstens ehrlich. Ich werde jetzt langsam das Holz über ihnen beiseiteschaffen.“ Gemeinsam mit der Hilfe von Elaine schleppen wir die Einzelteile zur freien Wand und lehnen sie dort an. „Jetzt weiß ich auch, warum sie sich nicht befreien konnten. Dieser Schrank ist aus Massivholz.“

Irgendwann ist die junge Frau endlich von allem Mobiliar befreit. Steht sie nun auf? Nein! Sie bleibt einfach am Boden liegen. Elaine macht es schon, sie reicht ihr die Hand. „Aufstehen, junge Dame.“

Die Hand wird ergriffen und Augenblicke später steht unsere verhinderte Möbelbauerin auf zwei Füssen vor uns. Sie streckt und bewegt sich, augenscheinlich ist der Körper heil geblieben. Elaine löst die Anspannung im Raum auf. „Woher kennen Sie mich eigentlich?“

Die junge Frau, ein wenig verlegen. „Ich glaube wir sind verwandt.“ Elaine schaut ihr tief in die Augen. „So, so, die junge Dame glaubt. Was so viel heißt wie, ich weiß es nicht mit Sicherheit. Dann ist es wohl eher Unsicherheit.“ Die junge Dame schaut unter sich. „Entschuldigung, Madame.“

Elaine nimmt ihr Gegenüber in den Arm. „Es gibt doch keinen Grund sich zu entschuldigen auf der Suche nach der Wahrheit. Erzähle mir deine Geschichte.“

Die junge Frau erzählt, von der Mutter, welche bei ihrer Geburt stirbt. Der Vater Maler, Künstler, Alkoholiker und Spieler. Er hat das ganze Vermögen durchgebracht und sich dann einfach drei Meter tiefer gelegt. Sie, ihr Name ist Nadine, war damals gerade 18 Jahre alt. Sie hat sich auf die Suche nach Verwandten gemacht, doch keiner wollte ein Habenichts im Haus. Der Vermieter hatte als einzige Person Mitleid mit ihr und stundete ihr die Miete. Sie hat gemodelt, gekellnert und wenn gar nichts mehr ging geputzt. Ihr Studium hat sie sich so finanziert. Ihre Studienkollegen hatten wenig Verständnis, wie auch, sie hatte nie Zeit um an Feten oder Veranstaltungen teilzunehmen. Im letzten Monat schrieb ein Notar, sie habe ein Haus geerbt in der Bretagne. Es war die Schwester der Mutter, sie hat nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter eine Schwester hatte. Tränen stehen in ihren Augen.

Ich spüre Elaine lässt dieses Schicksal nicht kalt. „Jetzt hast du mir so viel erzählt aus deinem Leben mein Kind, aber wer dein Vater war, das weiß ich immer noch nicht.“ Nadine nickt tapfer. „Ich weiß, Madame, sie werden ihn sicher nicht kennen. Er hieß Gilbert Perrault.“

Elaine fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. „Mein Gott, das ich da nicht von alleine drauf gekommen bin. Wer sonst als dieser total Verrückte und bescheuerte Gilbert kann so etwas seinem Kind antun. Du musst wissen, dein Vater war das schwarze Schaf in der Familie. Wenn einer Mist gebaut hat, dann war es garantiert Gilbert. Weißt du was, wir bringen dein Leben jetzt auf Vordermann. Nicht wahr Jean? Wir haben selbst keine Kinder also kümmern wir uns um dich. Ich habe heute Geburtstag und damit fangen wir an.“

Nadine schaut etwas irritiert in die Runde. „Ich habe leider nichts anzuziehen. Was sollen die Leute denken?“ Elaine fragt neugierig. „Welche Leute? Zu meinem Geburtstag kommen nur Serge und du. Ich frage schon lange nicht mehr danach, was die Leute über mich denken oder schreiben. Für diese Lebenseinstellung habe ich allerdings auch ein paar Jährchen gebraucht. Jetzt habe ich nur noch ein Anliegen, die napoleonische Glasvitrine, dafür werde ich dir einen ordentlichen Preis bezahlen. Schließlich brauchst du für deine Zukunft eine gute finanzielle Basis.“

Nadine fragt. „Von welcher Glasvitrine reden wir hier eigentlich?“ Elaine nimmt Nadine an der Hand und flüstert zu mir. „Bleibe du hier, ich möchte mit ihr alleine reden.“

„Nein, ich gehe lieber zu Serge auf das Boot.“ „Ist gut, wir kommen später dort vorbei.“ „Später? Wann ist später?“ Diese Antwort bleibt sie mir schuldig.

Am Boot finde ich einen schnarchenden Serge vor, offenbar war der Wein doch zu viel für ihn. Meiner vorsichtigen Einschätzungen nach dürfte der Tag für ihn gelaufen sein. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Kaimauer und warte auf die Damen. Meine Befürchtung es könne eine lange Zeit vergehen, zeigt sich schon bald als unberechtigt. In voller Eintracht kommen die zwei Frauen die Straße entlang. Elaine hakt sich bei mir unter und meint bezüglich Serge.

„Der ist wie immer voll! Lassen wir ihn seinen Rausch ausschlafen. Wir werden jetzt unsere neuen Familienbande festigen. Ich hoffe, Jean, du hast dich endlich mit deinem Schicksal abgefunden.“

„Weißt du, hätte mir je etwas Besseres in meinem Leben passieren können als Madame Elaine Perrault?“

Elaine lacht. „Nein! Nicht wirklich und deshalb werden wir auch schon bald heiraten.“ Nadine fragt. „Ihr wollt wirklich heiraten?“ Elaine meint verschmitzt. „Wenn es gilt, dann gilt es, bevor mein Held wieder kalte Füße bekommt, mache ich dieses Mal den Sack zu.“
Nadine pflichtet dieser Entscheidung bei. „Ja, das stimmt, der Mann muss wissen, wer der Herr im Haus ist.“

Meine Antwort auf dieses Thema ist einfach. „Das schockt mich jetzt überhaupt nicht mehr, Mesdames. Ich erlaube mir zu bemerken, mein Entschluss steht fest mit Elaine zusammenzubleiben. Die Machosprüche werden übrigens gerne an der Garderobe entgegengenommen.“

Elaine küsst mich auf die Wange. „Monsieur haben vollkommen Recht, wir wollen in unserer Hütte Frieden.“ Am Haus angekommen staunt Nadine nicht schlecht. „Diese Hütte ist ja ein Schloss!“ Elaine meint vergnügt. „Meine liebe Nadine, Madame Elaine Perrault liebt und wohnt standesgemäß.“



Die Handlung ist frei erfunden, weder Personen, Zeit noch Ort entsprechen wahren Begebenheiten.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany,
Autor des Romans „Das Chaos“