Freitag, 25. Dezember 2009

Madame Elaine Perrault

Am frühen Morgen ist Serge in meiner Begleitung mit dem kleinen Boot hinausgefahren. Unser Ziel war eine Stelle an der es Langusten gibt. Erfreut stellen wir fest, vier große Langusten sind unser Fangergebnis. Schweigend fahren wir zurück zu unserer Bootsanlegestelle. Ich nehme meine Angelausrüstung und setze mich auf die Kaimauer.

Serge zündet sich eine Gitanes an und hüllt sich gleich in weißen Rauch ein. „Willst du auch eine Gitanes, Jean?“ Er hält mir die Packung unter die Nase. „Behalte deine Sargnägel für dich.“ Serge ereifert sich. „Na höre Mal, ausgesprochen freundlich bist du an diesem Morgen nicht. Ich biete dir eine Zigarette an und du quatschst irgendeinen Blödsinn von Sargnägeln.“ Ich atme tief durch und lache. „Das ist meine Art von Galgenhumor.“

Serge schaut mich besorgt an. „Du fällst mir noch von der Kaimauer ins Wasser. Was glaubst du eigentlich was du da machst?“ „Ich angele, das sieht man doch!“ Serge grinst. „An dieser Stelle wirst du noch in drei Tagen sitzen und kein Fisch wird anbeißen.“ Ich verteidige mich. „Ich habe einen erstklassigen Köder.“ „Das ist keine Frage des Köders, diese Stelle ist einfach nur ungeeignet.“ „Lieber Serge, du bist Chefkoch und kein Fischer.“ „Lieber Jean, du bist garantiert kein Fischer.“

In meinem Rücken erklingt eine weibliche Stimme. „Was machst du auf der Kaimauer, Jean? Wo sind meine Langusten?“ Serge zeigt auf das Boot. „Habe ich dich gefragt? Bekomme ich bald eine Antwort, Jean.“ Ich klettere von der Mauer und lege meine Angel auf die Brüstung. „Kein Wunder, hier kann kein Mensch einen Fisch fangen, bei dem Lärm.“

Madame Elaine Perrault klatscht in die Hände. „Auf! Auf! Zeige mir den Fang.“ Ich gehe zum Boot und werfe einen Blick auf die Reuse. „Es sind vier Madame.“ Die Dame betrachtet den Fang genauer und nickt zustimmend. „In Ordnung, bringt die Langusten zum Haus. Die wird es heute anlässlich meines Geburtstages geben. Ich muss noch ein paar Erledigungen machen. Wir sehen uns dann später.“ Sie drückt mir einen zarten Kuss auf meine linke Wange.

Serge schaut mich fragend an. „Was willst du, Serge?“ „Hast du gewusst, dass sie heute Geburtstag hat.“ „Nein, ich habe es vergessen.“ Serge haut sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wie blöde bist du eigentlich? Lass mich raten, du hast natürlich auch kein Geschenk für Madame!“ Ich zucke mit den Achseln. „Vergessen.“ Serge brüllt. „Du hast was? Vergessen! Bist du eigentlich noch ganz normal. Eine Frau wie diese bekommst du so schnell nicht mehr.“

Wir tragen die Langusten zum Haus. „Wer sagt überhaupt, dass ich Madame will?“ Serge wütend. „Ich! Du Schwachkopf! Manchmal frage ich mich ob du überhaupt in deinem Kopf so etwas wie Intelligenz hast? Du bist ein typischer Mann! Vergisst den Geburtstag seiner Angebeteten.“

Wir stellen das Behältnis mit dem Fisch auf dem Küchentisch ab. Die Köchin schaut mürrisch zu uns herüber. „Wie ich sehe darf ich wieder die Arbeit machen. Wieso kocht heute eigentlich nicht der 5 Sternekoch, Monsieur Serge?“ Serge zieht tief Luft ein. „Eine noch dümmere Frage kann diese Köchin nicht stellen! Monsieur Serge hat zurzeit Urlaub. Das steht groß an der Tür meines Restaurants verkündet.“ Die Köchin mault. „Wenn ich die Herren so betrachte, dann habe ich das Gefühl, sie haben das ganze Jahr Urlaub.“

Das reicht, zu mindestens uns. Wir kehren ihr den Rücken zu und verlassen verärgert ihr Küchenreich. Serge zeigt zur Kellertür. „Sollten wir nicht ein wenig Wegzehrung mitnehmen? Ich denke der Keller wird uns mindestens zwei Flaschen Chablis her geben.“ Ich flüstere leise. „Die Köchin zählt die Flaschen.“ Serge grinst. „Und, hat die hier etwas zu melden?“ „Nein! Natürlich nur Madame Eliane Perrault.“

Wir steigen die Stufen hinab in den Weinkeller und Serge meint beiläufig. „Mache mir einen gefallen und lasse den ganzen Unsinn weg. Sie heißt Elaine, wann begreifst du das?“ Ich suche derweil den Wein aus. „Wenn dir so viel an ihr liegt, Serge, dann heirate doch deine Elaine.“ Mein Freund schüttelt den Kopf. „Ich würde sie sofort heiraten, Elaine will aber dich. Eine bessere Partie findest du in der ganzen Bretagne nicht. Die Frau hat Geld, sieht gut aus und akzeptiert einen Lebenskünstler wie dich. Was willst du eigentlich noch mehr?“

Ich habe endlich den Wein gefunden und lege die Flaschen in einen Weidenkorb. Serge hat einen Flaschenöffner und zwei saubere Gläser entdeckt. „Junge, Junge, ich werde Elaine sagen, dass du sie liebst und jetzt hauen wir endlich ab, bevor die alte Köchin uns noch verdrischt.“ Serge nimmt mir den Korb ab. „Nur damit du Bescheid weißt, wir gehen jetzt erst einmal für Elaine ein Geschenk besorgen.“ Ich muss anlässlich dieser Hartnäckigkeit grinsen.

„Heute mein Freund ist Sonntag, da werden wir wohl allenfalls ein paar Feldblumen auftreiben.“ Serge tippt mir auf die Brust. „Du wirst ihr ein anständiges Geschenk überreichen und wenn ich die Ladenbesitzer einzeln in ihre Geschäfte schleppen muss.“ Das beeindruckt mich nun überhaupt nicht, große Sprüche waren ein Bestandteil seines ganzen Lebens.

Ich will nicht verhehlen peinlich ist mir die Angelegenheit schon. Während wir das Haus verlassen, kommt mir ein Gedanke. Wie kann Madame Elaine Perrault an einem Sonntag noch Erledigungen machen? Vielleicht hat sie gar einen Freund, den Apotheker, Arzt oder den Bäcker, wer weiß schon was in einer Kleinstadt so alles hinter dem Rücken der Öffentlichkeit passiert?

Der alte Fuchs, Serge, stellt den Weidenkorb auf dem Boot ab. Anschließend gehen wir durch die Innenstadt. Wie ich vermutet habe sind an diesem Sonntag die Geschäfte zu. Lediglich eine Art Trödlerladen hat geöffnet. Eine junge Dame schleppt gerade Kisten in das Geschäft. Wir folgen ihr und schauen uns die Auslagen an.

Irgendwann bemerkt die junge Frau ihre Besucher. „Hallo! Meine Herren heute ist Sonntag, da habe ich geschlossen.“ Ich lächele sie freundlich und ergeben an. „Entschuldigung, Madame, meine Freundin hat heute Geburtstag und ich möchte ihr noch ein Geschenk besorgen.“

Die junge Dame schüttelt missbilligend den Kopf. „ Ich frage mich immer wieder, was wir Frauen an euch Männern finden? Ihr vergesst ohne Not unsere Geburtstage, Verlobungstage, Heiratstage und was weiß ich alles. Na gut, eine Ausnahme, aber nur eine und nur an diesem Sonntag. Verstanden!“

Serge nickt zustimmend. „Mir passiert so etwas nicht, dem Typ hier laufend.“ Die junge Dame schaut sich in ihrer Auslage um. „Was soll es sein? Wie alt ist die Dame? Wie heißt Madame?“ Wahrheitsgemäß antworte ich. „Madame Elaine Perrault und es ist nicht anständig über das Alter einer Dame zu reden.“

Die junge Frau wird bleich im Gesicht. „Sie meinen doch nicht etwa die Perrault mit dem großen Anwesen?“ Ich frage etwas amüsiert. „Gibt es noch mehr von der Sorte?“ Die junge Dame verneint. „Ich glaube kaum. Das Geschenk für die Dame hätte ich.“
Sie geht zu ihrem großen Ladentisch und öffnet eine Schublade. Zum Vorschein kommt eine Schmuckschatulle. Die Frau stellt die Schatulle auf dem Ladentisch ab und öffnet das Kästchen. Was ich nun sehe, verschlägt mir den Atem. Vor meinen Augen kommen eine Kette, ein Armband und ein Ring zum Vorschein, die mir mehr als bekannt vorkommen. ich frage leise. „Woher stammt dieser Schmuck?“

Die junge Frau zuckt nicht wissend mit den Schultern. „Ich habe den Laden vor ein paar Monaten übernommen, nach dem ich mein Studium in Paris beendet habe. Merkwürdig ist, der Schmuck war bereits hier in diesem Tisch. Fragen Sie mich bitte also nicht nach seiner Herkunft. Es erscheint mir allerdings, als sei er ist ihnen wohlbekannt?“ Serge stupst mich an. „Die Dame hat dir eine Frage gestellt.“

Ich nicke. „Ich kenne diesen Schmuck, dieses Kunstwerk ist in der Zeit Napoleons Bonaparte angefertigt worden von einem Juwelier in Paris. Dieser Schmuck gehörte einer bedeutenden Frau.“ Die junge Frau schaut mich überrascht an. „Dann ist der Schmuck sehr viel Geld wert?“

„Das kann ich nicht beurteilen aber ich würde schon behaupten wollen, dass er auf einer Auktion sehr viel einbringen könnte. Der Schmuck selbst dürfte aber bestimmt immer noch als gestohlen gelten.“ Serge schüttelt den Kopf. „Du willst doch nicht behaupten, die junge Dame habe den Schmuck gestohlen?“

„Nein! Das ist doch viel früher passiert. Die Frage ist doch nur, wie viel soll der Schmuck kosten? Ich möchte die Dame nicht über das Ohr hauen.“ Die junge Frau lächelt mich freundlich an. „Sie hätten mir nichts erzählen müssen, Monsieur. Meine Preisvorstellung wäre erst einmal zweihundert Euro gewesen. Was halten Sie von dem Preis?“

Ich besitze tatsächlich noch dreihundertfünfzig Euro vor der Pleite. Im Grunde verdanke ich Madame Elaine Perrault eine ganze Menge. Irgendwie werde ich auch das Gefühl nicht los, diesen einzigartigen Menschen schon seit sehr langer Zeit zu kennen. Mein Entschluss steht fest.

„Jawohl, Madame, ich werde ihnen den Schmuck für diesen Preis abkaufen. Gerne würde ich ihnen mehr geben, nur meine Vermögensverhältnisse lassen dies augenblicklich nicht zu.“ Die junge Dame grinst. „Es würde mir schon zur Ehre gereichen, wenn sie mich bei Madame positiv erwähnen.“

Ich verneige mich vor ihr. „Das werde ich selbstverständlich tun. Ich habe übrigens gelesen, sie restaurieren auch Bilder, Madame hat eine große Gemäldesammlung zeitgenössischer alter Meister. In dem Bereich gibt es eine Menge Arbeit.“

Die junge Dame hält mir das Verpackte Geschenk vor die Nase. „Sehen Sie, Monsieur, so können wir uns doch gegenseitig helfen.“ Ich reiche ihr das Geld und sie bedankt sich. „Es hat mich gefreut mit Ihnen Geschäfte machen zu dürfen, Monsieur.“ Ich reiche ihr die Hand. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Madame.“

Auf der Straße meint Serge. „Damit du es weißt, du hast die Kleine ganz schön angebaggert. Das ist nicht fair gegenüber, Elaine.“ Ich bleibe stehen und mustere ihn aus meinen dunklen Brillengläsern. „Ich habe mit der jungen Dame lediglich Konversation betrieben.“ Serge faucht wie ein Walross. „Du bist und bleibst ein alter Frauenbetörer!“

Ich lache laut auf. „Ich habe noch ganze hundertfünfzig Euro vor meiner endgültigen Pleite. Willst du mir meinen letzten Stolz auch noch nehmen?“ Serge schaut mich bekümmert an. „So schlimm steht es um dich?“

„Ja! Ich habe sogar die Auftragsarbeit angenommen, die Memoiren eines adligen Spaniers zu schreiben.“ Serge klopft mir mitleidig auf die Schultern. „Weißt du was, darauf nehmen wir einen Chablis. Die Welt sieht gleich besser aus. Dir scheint es ja mächtig dreckig zu gehen. Was ich nicht verstehe, warum nimmst du nicht Elaine zur Frau?“

Ich winke ab. „Wie soll ich um ihre Hand anhalten. Vielleicht mit dem Spruch, ich bin chronisch pleite und auch ansonsten ist nicht mehr viel mit mir los. Was hätte ich zu bieten, was eine Frau interessieren könnte?“

Serge sieht diese Sache vollkommen anders. „Im Leben geht es nicht immer nur ums Geld. Du bist liebenswürdig, zuverlässig und anständig. Du kannst sehr charmant sein und eine Frau fühlt sich durchaus in deiner Gegenwart wohl. Glaubst du etwa solche Werte zählen nicht?“

„Um ehrlich zu sein, Serge, in dieser Welt zählen solche Werte rein gar nichts, da zählt nur die Kohle.“

Serge betritt vor mir das Boot. „Ich weiß nicht, wenn die Welt tatsächlich nur noch so wäre, dann wäre es eine schlechte Welt.“

„Das mein Freund, kommt auf die Seite des Betrachters an. Die Menschen haben ein gutes Recht auf ihr eigenes Leben und Gedankengut. Die Masse der Menschen hat sowieso keine Zeit mehr, die hetzen nur noch hinter ihren vermeintlichen Erfolgen und Gelderträgen her.“

Serge grinst. „Na, wenn das so ist, dann wollen wir jetzt ganz gemütlich unseren Chablis genießen. Übrigens was würdest du zu einem Stück Käse sagen?“ Ich nicke zustimmend. „Käse esse ich immer gerne.“

Während wir gemütlich über Gott und die Welt plaudern nähert sich uns bereits Madame. Sie taucht plötzlich und vor allem von uns unerwartet auf.

Natürlich bin ich überrascht, ihr Aussehen lässt keine Zweifel mehr offen, sie muss einen Liebhaber haben. Ob es der Friseur ist? Nein! Der Bock ist schließlich zu alt. Sie fragt ganz ungeniert. „Was bewunderst du mich so, Jean?“

Bewundern? Ich doch nicht! Ich frage mich eher, welcher Kerl dahinter steckt, obschon es mich doch überhaupt nichts angeht. Stattdessen versuche ich mich in Schadensbegrenzung.

„Madame haben ihre Haare verändert.“ Sie setzt sich neben mich und das Unheil nimmt seinen Lauf. Es knackt leicht unter ihrem Gesäß beim Versuch sich zu setzen. Madame schaut nun genauer nach. Es gibt keine Chance mehr das Missgeschick zu verhindern.

Unter meiner Nase winkt nun ein Geschenk. „Was bitte ist das für ein Geschenk, lieber Jean?“ „Das Madame Perrault ist ein Geschenk für das Geburtstagskind.“ Elaine kichert. „Serge, was hat der schon getrunken?“ Der bekreuzigt sich. „Madame Perrault, garantiert nur ein Glas Wein, ich schwöre es bei allem was mir heilig ist.“ Nun lacht Madame laut schallend. „Das kann nicht besonders viel sein, Serge. Jetzt zu dir mein Liebster, wann gewöhnst du dir endlich dieses Madame vorne und hinten ab. Ich heiße Elaine, ist der Name so schwer auszusprechen?“

„Nein, ich meine, ich will sagen.“ Elaine fährt mir über den Mund. „Es wäre gescheiter du machtest einfach für die nächste Zeit deinen Mund zu, sonst verdirbst du mir noch die Freude. Darf ich mein Geschenk auspacken?“

Ich nicke zustimmend und bleibe artig ruhig. Serge hingegen grinst sich voll eins weg. Tolle Leistung auf Kosten anderer! Elaine hat die Schmuckschatulle bereits auf ihren Beinen liegen. Ungefragt nimmt sie mein Weinglas aus der Hand und trinkt einen Schluck von meinem Wein. Serge grinst mich jetzt noch breiter an. Ich hingegen habe ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und eine Art von Ahnung beschleicht mich, gleich wird es noch heftiger zu gehen. Madame öffnet den Deckel und ein merkwürdiges Strahlen liegt plötzlich auf ihrem Gesicht. Sie streichelt zart den Schmuck.

Serge meint ruhig und gelassen. „Ein schöner Modeschmuck, wenn auch nicht ganz alltäglich.“ Madame Perrault hebt den Kopf, schaut verständnislos Serge an. „Du alter Schwachkopf! Du hast doch wirklich keine Ahnung, allenfalls von deinen Kochtöpfen.“

Serge nimmt es ihr keineswegs Übel, er gießt sich ein Glas Chablis ein und prostet ihr zu. „Auf ihr Wohl, Madame.“ Elaine drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss. Serge witzelt. „Muss Liebe schön sein, wenn ich groß bin will ich auch einmal.“ Elaine lächelt mich an.

„Woher wusstest du?“ „Ich habe es gefühlt, dieser Schmuck ist von großer Bedeutung.“ Elaine nickt bedeutungsvoll. „Ja, dieser Schmuck ist von sehr großer Bedeutung für die Frauen des Hauses Perrault. Leider wurde er uns gestohlen. Jetzt kehrt er endlich in unseren Besitz zurück.“ Elaine streift sich das Armband an, legt sich die Kette um und reicht mir den Ring. „Kannst du mir bitte den Ring überstreifen?“

Ich ahnungsloser Mensch tue es natürlich, aus reiner Höflichkeit versteht sich. Ob dieses für mich Folgen haben wird?

Elaine streckt die Hand aus in Richtung Serge. „Siehst du Serge, jetzt habe ich doch noch meine Geburtstagsüberraschung bekommen, das ist mein Verlobungsring.“

Ich bin wohl überrumpelt worden oder sehe ich die Angelegenheit im falschen Licht? Ich bekomme ganz schnell Klarheit. Elaine gibt mir einen Kuss auf den Mund. „Jetzt sind wir Verlobte, Jean. Du willst mich doch?“

Mache jetzt bloß keinen Fehler Jean, dazu habe ich keine Zeit, zu sehr bin ich sprachlos. Mein Gefühl in der Magengegend und diese komischen Schmetterlinge haben mich also nicht betrogen. Allerdings es ist noch nicht vorbei, im Gegenteil es ist noch schlimmer geworden, ich brenne voller Leidenschaft und Liebe.

Die Ernüchterung bringt Serge. „Was ist also an dem Schmuck echt? Der liegt so einfach in einer Ladentheke rum, das ist doch merkwürdig.“ Elaine grinst. „Dieser Schmuck, mein Bester, wurde in Paris hergestellt mitten in den Wirren der französischen Revolution. Diese grünen Steine sind Smaragde, eingefasst mit weißen Perlen und das was hier so funkelt sind Diamanten. Hast du noch eine Frage?“ Serge der gerade genüsslich an seinem Rotwein kostet, verschluckt sich.

Elaine nimmt das Geschenkpapier und stutzt. „Jean, wer ist diese Nadine Perrault?“ Ich antworte nach besten Wissen und Gewissen. „Ich kenne keine Nadine Perrault.“ Madame nimmt ihren Zeigefinger um mir deutlich zu machen, was sie von Falschaussagen hält. „Schwindele mich nicht an, du kennst die Dame.“ Ich grinse sie an. „Also wirklich Elaine, kaum bist du verlobt, da machst du schon Eifersuchtsszenen.“ Ihre Antwort hält sie mir vor meine Augen. Ich lese deutlich, Nadine Perrault, Rue de l´odéon 14, 6 arrandissement Paris.

„Das muss wohl die junge Dame in dem Laden erklären können. Ich muss zugeben ich habe nicht nach ihrem Namen gefragt. Eigenartig ist nur, sie bat mich um eine Empfehlung. Immerhin versteht die Frau sich auf die Restaurierung von Gemälden.“ Elaine klatscht in die Hände. „Gut mein Lieber, dann lass uns die junge Dame aufsuchen. Ich möchte das Mädchen sehen und mit ihr reden.“ Ich erhebe mich.

Serge hingegen meint trocken. „Ihr zwei Turteltäubchen habt sicher nichts dagegen wenn ich euren Chablis mittrinke.“ Eine Antwort bekommt er nicht, wir sind auf dem Weg zu diesem kleinen Trödlerladen.

Ehrlich gesagt, ich habe wenig Hoffnung dort noch eine offene Tür vorzufinden. In dem Punkt irre ich gewaltig. Die Tür zu dem Laden steht wie am Morgen offen. Ich lasse Elaine den Vortritt. Nun gibt es Erscheinungen im Leben, die sind nicht nur merkwürdig sondern haben den Beigeschmack der Mystik.

Während Elaine sich in dem Geschäft umsieht, mache ich im Nebenraum eine für mich ungeheuerliche Entdeckung. Vor meinen Augen steht die Glasvitrine von Napoleon Bonaparte. Das kann nun wirklich jeder Mensch behaupten. Das einzigartige sind die Bewohner dieser Vitrine. Es sind alle Soldaten des napoleonischen Heeres vertreten, vom Trommler bis zum General. Die Figuren sind aus Zinn gegossen und ihre Kleidung und jeweilige Bewaffnung ist bis ins kleinste Detail vorhanden. Dieser Anblick versetzt mich in meine Jugend. Oft habe ich vor dieser Vitrine gestanden und die Figuren bewundert, da war Ehrfurcht in mir. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen diese Figuren zum Spiel zu nutzen. Kein Mensch musste mir erklären welchen ungeheuerlichen Wert diese Sammlung hatte. Meine Großmutter war gezwungen aus Geldnot diese Vitrine zu verkaufen. Das habe ich nie verstanden, geschweige denn wirklich begreifen wollen. Bittere Tränen waren geflossen und tiefe Trauer hatte mein so junges Herz erfasst. Ich hätte nie in meinem Leben geglaubt dieser Vitrine jemals wieder zu begegnen. Jetzt stehe ich unmittelbar davor und fasse mein Glück kaum.

Elaine steht still hinter mir, lehnt sich an den Türrahmen. Sie hat sofort erkannt um welche Sache es geht. „Das ist die Vitrine aus eurem Salon. Ich kann mich gut daran erinnern, davor stand der Flügel und an der Wand das Klavier. Ihr hattet damals noch Geld.“ Ich sage ein wenig ernüchtert. „Wir haben alles verloren.“ Elaine sagt zärtlich. „Das stimmt so nicht. Betrachte es genau, du hast das Vermögen und die Macht verloren; aber nur um daraus zu lernen. Außerdem hat die Familie Perrault in dieser Zeit im Gegenzug ein Vermögen aufgebaut. Du hattest hingegen die Zeit zur Reife und jetzt bekommst du die Frau und die Macht. Was gilt es nun noch der Vergangenheit nach zu trauern. Die Vitrine werden wir kaufen und damit wäre dann wohl die Angelegenheit geklärt.“

Ich nicke zustimmend. „Dein Einwand stimmt, es ist nicht gut der Vergangenheit nachzutrauern, darüber wird oft die Zukunft verschlafen.“

Elaine scheint zufrieden. „Gut, wenn du diese Fakten erkannt hast. Jetzt bleibt nur noch die Frage. Wo steckt diese junge Dame?“

Diese Frage ist gut, immerhin sind wir schon eine geraume Zeit in diesem Laden. Wenn es in unserer Absicht liegen würde, so hätten wir genügend Zeit gehabt um das Geschäft auszuräumen. Ich finde diese Situation merkwürdig und verlasse das Geschäft. Elaine folgt mir instinktiv. „Spürst du auch, hier stimmt etwas nicht, Jean. Das Mädchen ist sicher in Gefahr.“

Genau, ich habe so ein merkwürdiges Gespür. „Du bleibst vor dem Laden, Elaine. Ich werde mir das Haus genauer ansehen.“ Ich betrete erneut das Geschäft und suche nun alle Räume systematisch ab. Aus einem der Zimmer höre ich ein Stöhnen. Langsam öffne ich die Tür und werfe einen Blick in den Raum. Am Boden liegt eine Frau und auf der Frau liegt ein Schrank. Ihre Augen schauen mich hilfesuchend an.

Während ich die Tür weiter öffne, stürmt bereits Elaine an mir vorbei. „Madame Perrault, sie schickt der Himmel.“ Elaine schaut mich fragend an, doch ich weiß hier im Moment auch keine Antwort. Vielleicht ist man sich irgendwann in Paris über den Weg gelaufen.

Elaine beugt sich besorgt über die junge Frau. „Was haben Sie angestellt?“ Die junge Frau seufzt. „Ich wollte den Schrank aufbauen und dann ist plötzlich alles zusammengebrochen und ich mittendrin. Ich bin so unglücklich gefallen, ich kann mich nicht selber befreien.“ Ich nicke. „Das sehe ich. Haben Sie vielleicht Schmerzen?“

„Nein! Ich habe Angst.“ „Das finde ich gut, sie sind wenigstens ehrlich. Ich werde jetzt langsam das Holz über ihnen beiseiteschaffen.“ Gemeinsam mit der Hilfe von Elaine schleppen wir die Einzelteile zur freien Wand und lehnen sie dort an. „Jetzt weiß ich auch, warum sie sich nicht befreien konnten. Dieser Schrank ist aus Massivholz.“

Irgendwann ist die junge Frau endlich von allem Mobiliar befreit. Steht sie nun auf? Nein! Sie bleibt einfach am Boden liegen. Elaine macht es schon, sie reicht ihr die Hand. „Aufstehen, junge Dame.“

Die Hand wird ergriffen und Augenblicke später steht unsere verhinderte Möbelbauerin auf zwei Füssen vor uns. Sie streckt und bewegt sich, augenscheinlich ist der Körper heil geblieben. Elaine löst die Anspannung im Raum auf. „Woher kennen Sie mich eigentlich?“

Die junge Frau, ein wenig verlegen. „Ich glaube wir sind verwandt.“ Elaine schaut ihr tief in die Augen. „So, so, die junge Dame glaubt. Was so viel heißt wie, ich weiß es nicht mit Sicherheit. Dann ist es wohl eher Unsicherheit.“ Die junge Dame schaut unter sich. „Entschuldigung, Madame.“

Elaine nimmt ihr Gegenüber in den Arm. „Es gibt doch keinen Grund sich zu entschuldigen auf der Suche nach der Wahrheit. Erzähle mir deine Geschichte.“

Die junge Frau erzählt, von der Mutter, welche bei ihrer Geburt stirbt. Der Vater Maler, Künstler, Alkoholiker und Spieler. Er hat das ganze Vermögen durchgebracht und sich dann einfach drei Meter tiefer gelegt. Sie, ihr Name ist Nadine, war damals gerade 18 Jahre alt. Sie hat sich auf die Suche nach Verwandten gemacht, doch keiner wollte ein Habenichts im Haus. Der Vermieter hatte als einzige Person Mitleid mit ihr und stundete ihr die Miete. Sie hat gemodelt, gekellnert und wenn gar nichts mehr ging geputzt. Ihr Studium hat sie sich so finanziert. Ihre Studienkollegen hatten wenig Verständnis, wie auch, sie hatte nie Zeit um an Feten oder Veranstaltungen teilzunehmen. Im letzten Monat schrieb ein Notar, sie habe ein Haus geerbt in der Bretagne. Es war die Schwester der Mutter, sie hat nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter eine Schwester hatte. Tränen stehen in ihren Augen.

Ich spüre Elaine lässt dieses Schicksal nicht kalt. „Jetzt hast du mir so viel erzählt aus deinem Leben mein Kind, aber wer dein Vater war, das weiß ich immer noch nicht.“ Nadine nickt tapfer. „Ich weiß, Madame, sie werden ihn sicher nicht kennen. Er hieß Gilbert Perrault.“

Elaine fasst sich mit beiden Händen an den Kopf. „Mein Gott, das ich da nicht von alleine drauf gekommen bin. Wer sonst als dieser total Verrückte und bescheuerte Gilbert kann so etwas seinem Kind antun. Du musst wissen, dein Vater war das schwarze Schaf in der Familie. Wenn einer Mist gebaut hat, dann war es garantiert Gilbert. Weißt du was, wir bringen dein Leben jetzt auf Vordermann. Nicht wahr Jean? Wir haben selbst keine Kinder also kümmern wir uns um dich. Ich habe heute Geburtstag und damit fangen wir an.“

Nadine schaut etwas irritiert in die Runde. „Ich habe leider nichts anzuziehen. Was sollen die Leute denken?“ Elaine fragt neugierig. „Welche Leute? Zu meinem Geburtstag kommen nur Serge und du. Ich frage schon lange nicht mehr danach, was die Leute über mich denken oder schreiben. Für diese Lebenseinstellung habe ich allerdings auch ein paar Jährchen gebraucht. Jetzt habe ich nur noch ein Anliegen, die napoleonische Glasvitrine, dafür werde ich dir einen ordentlichen Preis bezahlen. Schließlich brauchst du für deine Zukunft eine gute finanzielle Basis.“

Nadine fragt. „Von welcher Glasvitrine reden wir hier eigentlich?“ Elaine nimmt Nadine an der Hand und flüstert zu mir. „Bleibe du hier, ich möchte mit ihr alleine reden.“

„Nein, ich gehe lieber zu Serge auf das Boot.“ „Ist gut, wir kommen später dort vorbei.“ „Später? Wann ist später?“ Diese Antwort bleibt sie mir schuldig.

Am Boot finde ich einen schnarchenden Serge vor, offenbar war der Wein doch zu viel für ihn. Meiner vorsichtigen Einschätzungen nach dürfte der Tag für ihn gelaufen sein. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Kaimauer und warte auf die Damen. Meine Befürchtung es könne eine lange Zeit vergehen, zeigt sich schon bald als unberechtigt. In voller Eintracht kommen die zwei Frauen die Straße entlang. Elaine hakt sich bei mir unter und meint bezüglich Serge.

„Der ist wie immer voll! Lassen wir ihn seinen Rausch ausschlafen. Wir werden jetzt unsere neuen Familienbande festigen. Ich hoffe, Jean, du hast dich endlich mit deinem Schicksal abgefunden.“

„Weißt du, hätte mir je etwas Besseres in meinem Leben passieren können als Madame Elaine Perrault?“

Elaine lacht. „Nein! Nicht wirklich und deshalb werden wir auch schon bald heiraten.“ Nadine fragt. „Ihr wollt wirklich heiraten?“ Elaine meint verschmitzt. „Wenn es gilt, dann gilt es, bevor mein Held wieder kalte Füße bekommt, mache ich dieses Mal den Sack zu.“
Nadine pflichtet dieser Entscheidung bei. „Ja, das stimmt, der Mann muss wissen, wer der Herr im Haus ist.“

Meine Antwort auf dieses Thema ist einfach. „Das schockt mich jetzt überhaupt nicht mehr, Mesdames. Ich erlaube mir zu bemerken, mein Entschluss steht fest mit Elaine zusammenzubleiben. Die Machosprüche werden übrigens gerne an der Garderobe entgegengenommen.“

Elaine küsst mich auf die Wange. „Monsieur haben vollkommen Recht, wir wollen in unserer Hütte Frieden.“ Am Haus angekommen staunt Nadine nicht schlecht. „Diese Hütte ist ja ein Schloss!“ Elaine meint vergnügt. „Meine liebe Nadine, Madame Elaine Perrault liebt und wohnt standesgemäß.“



Die Handlung ist frei erfunden, weder Personen, Zeit noch Ort entsprechen wahren Begebenheiten.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany,
Autor des Romans „Das Chaos“

Mittwoch, 10. Juni 2009

Faltenfüller ist der Knüller

Wer will ewiglich Jugend haben, der muss hin zum Arzte gehen. Spritzen hin und Spritzen her, Spachteln und polieren, dabei mit Garantie dreißig Lenze jünger im Glanz erstrahlen.

Gleich geht es dann so richtig rund mit Hyaluronsäure, Kollagen, Poly-L-Milchsäure , Plasma-Gel, Calcium-Hydroxylapatit, Silikon, Aptos-Fäden, Polymethylmethacrylat oder nur Hyaluronsäure mit Acrylhydrogel. Lasst die Kritiker schreien, Hauptsache wir erscheinen in Kunststoff bunt.

Ein Bauch voller Fett, keine Qual, wird abgesaugt. Hängebäckchen und Mundwinkel werden aufgepolstert. Unscheinbare Lippen werden mit der Spritze zum Hingucker der Saison.
Manches Weibe ärgert sich schon lange wegen eines unscheinbaren Vorbaus und so wird ganz schnell, gerichtet und aufgerüstet. Dank Silikon werden wahre Kunstwerke vollbracht. So entsteht aus einem Mauerblümchen, einem hässlichen Entchen in kurzer Zeit ein Männertraum. Für manchen Zeitgenossen kann sich aber dieser Umstand auch zum Alptraum entwickeln.

Was gibt es hier noch groß zu klagen, die Schönheitschirurgie macht alle Träume wahr. Geld spielt dabei keine Rolle.

Einzig und allein herrscht hier nur die Qual der Wahl, welche Träume in Erfüllung gehen. Die Gesellschaft dankt es gern, neues Ansehen, haufenweise Verehrer und vielleicht wird auch jetzt der Traum vom Millionär oder der Millionärin in Erfüllung gehen.

Insofern sind die Faltenfüller jetzt der wahre Knüller. Der letzte Schrei nach dem Heer der Köche kommen jetzt die originellsten Modernisierer an Menschenfassaden auf die Mattscheiben dieser Welt.

Es sei den Kunstobjekten vergönnt, demnächst sind Schönheitsoperationen sogar als Renovierungsarbeiten voll von der Steuer absetzbar unter dem Begriff Werbungskosten. Einziger Wermutstropfen, im Todesfall muss mit einer Sonderentsorgungsabgabe für nicht bzw. schwer abbaubare Substanzen gerechnet werden.

Was soll es, diesen Obolus können dann die lieben Erben bezahlen.

© Bernard Bonvivant

Sonntag, 31. Mai 2009

Der alte Fischer und das späte Glück

Die Normandie liegt im Norden Frankreichs. Der Name der Region stammt aus dem Mittelalter als einheimische Franzosen und die hereingezogenen Wikinger einen neuen Volksstamm begründeten, die Normannen.

Die Landschaft ist so einzigartig, wie die in der Geschichte wechselnden Eroberer. Unsere Erzählung führt uns an die Küste der Haute Normandie. Am 6.Juni 1944 startete hier die Operation Overlord.

Die Menschen der Normandie sind nicht nur viel gewohnt, sie haben auch ihre eigene Lebensweise, ihre eigenen Ansichten. Das ist völlig normal zudem ist das Leben hier nicht immer ganz so einfach.

Der alte Antoine, siebzig Jahre ist so ein typisches Beispiel. Den Stürmen des Lebens getrotzt, die Haut vom Meersalz gegerbt, immer mit dem Meer gerungen. An diesem Morgen steht er am Kai vor seinem Fischerboot und die Welt sieht eher düster aus. Es ist ein schöner Morgen genau richtig um sich des Lebens zu erfreuen. In Antoines Brust aber schlägt ein wundes Herz.
Die Seemöwen umkreisen ihn, setzen sich keck auf seinem Schiff ab. Seine Mathilde aber schweigt, so wie es im Moment aussieht schweigt sie wohl für immer. In fünfzig Jahren hat sie ihn nie im Stich gelassen. Ausgerechnet jetzt, wo er wieder einmal fast Pleite ist, gibt die Maschine den Geist auf. Sein Atem geht schwer, sein Blick ist leer. Er starrt geradeaus auf die See.

Ein Fahrrad kommt des Weges daher auf dem Sattel sitzt Hugo. Hugo ist auch nicht mehr der Jüngste, Frührentner seit einem Unfall in der Fabrik und fährt der Gesundheit wegen mit auf dem Schiff. Er stellt sein Fahrrad ab.
„ Morgen Antoine, was ist los? Wieso läuft die Maschine noch nicht?“
Der alte Fischer dreht sich zu seinem Freund um, blickt ihn stumm an. Hugo macht eine abwehrende Handbewegung.
„Verstehe die wortkargen Normannen hüllen sich in Schweigen.“
Antoine muss doch leicht lächeln.
„ Du alter Schwätzer! Nichts verstehst du, rein gar nichts!“
Hugo tritt neben ihn, betrachtet das Schiff.
„ Sieht unsere Mathilde nicht gut aus?“
Antoine schaut ihn entsetzt an.
„ Meine Mathilde ist tot!“
„Ja! Die echte Frau schon, aber das Schiff lebt doch.“
„Eben nicht!“
„Was willst du damit sagen?“
Antoine sagt spöttisch.
„Was schon, die Maschine ist im Eimer.“
„Schöne Scheiße! Was machen wir nun?“
Antoine gibt keine Antwort. Er macht sich auf den Weg zum Leuchtturm. Vor dem Eingang steht eine Bank.
Der Blick von dieser Bank reicht weit auf das Meer hinaus. Irgendwann eines Tages musste es soweit kommen.
Aus! Vorbei! Fischerei Ade.
Jetzt darf er wohl hier sitzen, wie ein alter Greis und sich nach seinem geliebten Meer sehnen.
Hugo der nun auch bei der Bank eingetroffen ist, setzt sich neben ihn.
„Jetzt sitzen wir hier zwei alte Fischer auf der Abschiebebank.“
Das hätte Hugo besser nicht gesagt.
„Fischer? Ich bin Fischer, du bist allenfalls ein Fabrikarbeiter oder besser gesagt Hilfsmatrose.“
„Jetzt werde Mal nicht beleidigend, ich bin dein Freund. Irgendwas müssen wir doch tun können?“
Antoine faltet die Hände wie zum Gebet sein Blick wandert über das Meer.
„Da gibt es nicht mehr viel zu tun. Ich müsste das Haus beleihen und das macht meine Tochter nicht mit. Der Fang ist halt in den letzten Jahren immer stärker zurückgegangen. Meine Reserven habe ich schon lange aufgebraucht. An Wunder glaube ich nicht mehr. Ich werde Nicolas bitten mir das Boot auf das offene Meer zu schleppen, dann ersaufe ich mich mit Mathilde.“
Hugo wird kreidebleich, das meint der wohl noch im Ernst.
„Du kannst doch nicht einfach dein Boot versenken mit dir. Du spinnst doch! Ich glaube du hast den Verstand verloren.“
„Vielleicht habe ich noch nie Verstand besessen. Meine Mathilde hat zu Lebzeiten immer gesagt, ich sei ein verrückter Kerl. Die muss es wohl gewusst haben.“
„Das hast du falsch verstanden deine Frau hätte nie deinen Tod gewollt. Nie! Da bin ich mir ganz sicher, so wie die war.“
„Ich bin am Ende und dieser Baptiste wird nie mein Boot bekommen und verschrotten lasse ich meine Mathilde auch nicht. Das kannst du mir ruhig glauben.“
„Du solltest überlegen, wie wir an eine neue Maschine kommen. Ich denke Mathis würde die einbauen.“
„Hugo das ist dein Problem, du denkst zuviel! Das Spiel ist aus, endgültig. Vorbei verstehst du, mein Leben ist dahin.“

Adelina, die Witwe des Fischers Louis steht plötzlich vor ihrer Bank.
„Was redest du nur für einen Müll! Hast du Nichts anderes zu tun, als mir meine Bank am Morgen zu klauen. Schaff dich auf dein Schiff, Antoine und nimm deinen Zwerg gleich mit.“
Erschrocken, schauen Antoine und Hugo auf die erboste Frau vor ihnen.
„Adelina! Was machst du hier?“
„Frage nicht so blöd, Antoine! Ich will auf meine Bank mit meinem Mann reden.“
Hugo fällt natürlich wieder einmal dazu eine Anmerkung ein, die er besser unterlassen sollte.
„Madame der liegt auf dem Friedhof.“
„Was mischt dieser dämliche Zwerg sich eigentlich in unser Gespräch ein. Natürlich liegt Louis auf dem Friedhof! Wo den sonst du Blödmann? Er ist schließlich in seinem Bett gestorben; aber das Meer war seine große Liebe. Wir unterhalten uns eben auf dieser meiner Lieblingsbank.“

Hugo ist ganz still, mucksmäuschenstill. Dieser alten Furie darf er nicht noch mehr Gelegenheit geben zur Schelte.
„Wieso bist du nicht auf deinem Schiff Antoine?“
„Ich bin am Ende!“
„So wie du da sitzt, einem Häufchen Elend gleich, könnte ich dem glatt zustimmen. Falls du aber glaubst, ich ziehe dir die Würmer aus der Nase irrst du dich gewaltig.“
Antoine rappelt sich auf, sieht von oben auf sie herab. Die wäre damals fast seine Frau geworden, wäre nicht Mathilde aus Paris plötzlich hier aufgetaucht.
„Meine Maschine ist kaputt!“
„Na und dann baue dir eine Neue ein.“
„Du weißt schon, ich kann sie nicht selber einbauen. Außerdem habe ich kein Geld.“
Adelina setzt sich lächelnd auf die Bank.
„So! So! Antoine ist also Pleite. Was machen wir da?“
„Ich werde nie, wie du, an diesen Scheiß Baptiste verkaufen.
Mein Schiff und ich gehen im Meer unter.“
Adelina lacht nun ungeniert und laut.
„Das möchte ich sehen, wie du mit einem kaputten Motor das Schiff auf das Meer bekommst. Du bist wirklich ein großer lieber Spinner. Das habe ich immer an dir gemocht, deine zuweilen total verrückten Ideen. Leider hast du dir ja die Falsche genommen.“
„Ich hatte eine herzensgute Frau!“
Adelina zeigt unvermittelt ihre weibliche Größe.
„Das würde ich auch so sehen, du hattest eine großartige Frau. Weil das so war, oder sage ich besser vielleicht auch noch ist, zumindest wenn wir nach dem Schiff da schauen, verrate ich dir ein Geheimnis. Ich habe zwar das Schiff verkauft, nicht aber das große Ersatzteillager.“
Antoine schaut sie sprachlos an.
„Was willst du damit sagen Adelina?“
„Nun vielleicht habe ich deinen dramatischen, theatralischen nicht anzusehenden Abgang vorausgeahnt. Kann ich so etwas Marie antun? Den Vater den Haien zu opfern, also ehrlich. Antoine ohne dich wäre die Küste hier mehr als leer.“
Sie nimmt aus ihrer Tasche einen Schlüsselbund, entfernt einen Schlüssel und reicht ihn Antoine.
„Erwarte nicht da sich mitkomme, ich habe von dem Kram keine Ahnung, es gehört alles dir.“
Antoine nimmt den Schlüssel wiegt ihn schwer in seinen Händen.
„Das kann ich nicht bezahlen.“
Adelina ist leicht verärgert.
„Willst du mich beschämen? Ich schenke dir den Kram und du faselst hier was von bezahlen! Mache dich auf den Weg damit ich meine Ruhe habe.“
Hugo packt den überraschten Antoine am Ärmel seiner Jacke und zieht ihn mit sich fort.
„Das ist wie Weihnachten!“
Antoine kann es nicht glauben.
„Warum tut sie das?“
„Mann alter Esel, die liebt dich immer noch. Du solltest dich mehr erkenntlich zeigen.“
„ Niemals! Ich liebe meine Mathilde!“
Hugo bleibt stehen und schreit Antoine an.
„Wann wirst du endlich wach! Mathilde liegt über zehn Jahre unter der Erde.“
„Das verstehst du nicht! Das kann keiner verstehen!“

In dem großen Schuppen staunen sie nicht schlecht. Sie finden in der Tat eine Maschine, aber auch einen wahren Fundus an Ersatzteilen. Die Zukunft scheint gesichert.
„Jetzt brauchen wir nur noch einen, der uns den Motor einbaut.“
Hugo sitzt auf einer großen Holzkiste, meint lächelnd.
„Und das kostet Geld!“
„Eben, solches habe ich ja nicht.“
„Du solltest einfach mit Nicolas reden, an sein gutes Herz appellieren.“
„Hugo ich glaube nicht das wir damit viel erreichen werden.“ „Wir können es doch trotzdem wagen.“
„In Ordnung reden wir mit ihm.“

Auf dem Weg zu Nicolas laufen sie direkt Adelina und Marie in die Arme.
„Hallo Vater, habe schon von deinem Pech gehört. Dieses Mal ist es die Maschine.“
Antoine bleibt auf der Straße stehen, blickt die zwei Frauen wie ein Weltwunder an. Wieso kommen die gemeinsam? Warum reden die miteinander? Was läuft hinter seinem Rücken?
„Wieso redet ihr miteinander?“
Marie zuckt mit den Schultern.
„Wieso? Weil wir Menschen sind, zudem ist es nicht klug im Alter allein zu sein.“
Antoine entrüstet sich. „Ich bin nicht allein.“
„Doch Vater, du hast dich allein auf dein Schiff verzogen mit deinem Leichtmatrosen. Gehst ständig dem Leben aus dem Weg. Weißt du eigentlich wie viel Glück du hast, uns beide Frauen zu haben.“
„Das muss ich jetzt nicht verstehen!“
„Komm Adelina die Geschichte mit Nicolas müssen wir auch noch regeln, bevor das in die Hose geht.“
Die beiden Frauen gehen mit zur Werkstatt von Nicolas.
Nicolas ist im Alter von Marie, bereits geschieden und seit längerer Zeit der heimliche Freund von Marie.
Das darf der Papa aber nicht unbedingt wissen, der hat eigentlich einen besseren Schwiegersohn verdient.

Die Werkstatt ist eine Autowerkstatt, Boote werden nur noch selten repariert, das Geschäft lohnt einfach nicht mehr.
Serge der Geselle von Nicolas erblickt die Viererbande als Erster.
„Nicolas, ich glaube du kriegst richtigen Besuch.“
Nicolas hebt seinen Kopf, aus dem Motorraum eines Citroen, schaut interessiert auf die Straße. Sein Herz schlägt Salto, Marie ist dabei. Gleichzeitig steigt beim Anblick von Antoine, der Adrenalinspiegel gewaltig an. Das gibt Ärger!
„Ich glaube, ich gehe besser vor die Tür. Es könnte sein, dass der Alte hier gleich Kleinholz veranstaltet.“
Serge grinst ungeniert.
„Kein Wunder, wo du doch seine edle, heilige Tochter bumst!“
„Keine so ordinären Ausdrücke! Wir lieben uns.“
Serge gibt ihm noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg. „Es heißt der Alte hat früher einen mächtigen Hammer drauf gehabt, du solltest beizeiten in Deckung gehen.“
„Du Rotzlümmel sei endlich ruhig.“
Lachend geht Nicolas vor die Halle. Lachen steckt zuweilen an, seine Marie lächelt ihm entgegen, Tante Adelina lächelt, Hugo lächelt. Was macht Antoine?
Der blickt diese ganze Sippe fragend an. Was geht hier vor? Die Antwort kriegt er auch noch aus denen heraus. Da ist er sich sicher.
Nicolas fragt freundlich. „Was gibt es Antoine?“
Der grault sich etwas verlegen seine wenigen verbliebenen Haare unter der Baskenmütze.
„So wie es aussieht brauche ich deine Hilfe.“
Nicolas ist keineswegs erstaunt.
„Nur zu raus damit!“
„Meine Mathilde, ich meine mein Schiff, also wie soll ich dir das jetzt erklären. Ich meine, ich habe kein Geld, aber eine Maschine habe ich schon.“
Nicolas fängt laut zu lachen an. Es geht nicht direkt um Marie, diese Nachricht beruhigt zumindest ihn.
„Hast du etwa einen Motorschaden?“
Antoine nickt, sieht dabei verlegen unter sich.
„Ehrlich gesagt, habe ich mich schon seit längerem gefragt, wie lange dein Kahn noch mitmacht. Die Fischerei ist doch keine Zukunft mehr. Du solltest das Geschäft an den Nagel hängen.“
Maria antwortet direkt.
„Nicolas, du sollst ihm die Maschine einbauen. Der Kahn muss auf See. Hast du eine Ahnung wie es um mich steht? Zuhause würde mein Vater mir eingehen, der braucht die Seeluft. Er wird nicht mehr groß fischen, das verspreche ich dir. Wir werden in Zukunft Ausflugsfahrten anbieten, Angelfahrten solche Sachen für Touristen. Wir haben sogar schon Aufträge. Adelina hat sich darum gekümmert. Ich habe übrigens mein Patent in der Tasche. Wir sind doch schließlich ein Familienunternehmen. Übrigens als zukünftiger Schwiegersohn könntest du es ihm leichter machen.“

Antoine begreift die Welt nicht mehr. Adelina hat sich um ihn gekümmert, Aufträge an Land gezogen. Seine Marie hat das Patent.
Er kriegt einen Schwiegersohn. Wo war er eigentlich wie das Alles passiert ist?
Tränen stehen in seinen Augen, ein Mann heult, ergriffen. Nicht verstehend wie das Schicksal, einfach Mal so, alle seine Sorgen wegfegt sein Leben bereinigt.
Unvermittelt drückt er Adelina an sich und gibt ihr einen Kuss. Das kommt für die Umstehenden vollkommen überrascht.
Nicolas der schon lange weiß, wie sehr seine Tante gelitten hat kann seine Freudentränen nicht verbergen.
Marie kommt zu ihm und er nimmt sie in seine Arme.

In den nächsten Tagen wird das Schiff in ein Trockendock verlegt, wird generalüberholt. Nicolas will kein Risiko eingehen, wenn seine Marie nun auch auf diesem Schiff fährt.
Innerhalb von einer Zeit von nur sechs Wochen sieht die Mathilde aus, als käme sie gerade erst frisch von der Werft.
Sozusagen bereit für ihre Jungfernfahrt mit neuen Zielen liegt sie wieder an ihrer alten Anlegestelle.

Baptiste steht vor dem Schiff mit einem seiner Vertrauten.
„Kannst du mir erklären, wie es möglich ist, dass dieser alte Scheißer wieder einen flotten Kahn hat? Bist du eigentlich noch zu dämlich eine Maschine richtig zu schrotten?“

Der Gescholtene blickt unterwürfig auf seinen Herrn.
„Ich verstehe das nicht! Vor allem wer hat dem die Maschine repariert?“
In ihrem Rücken stehen Nicolas und zwei Polizisten.
„Ich kann ihnen das sehr wohl erklären, außerdem hat diese Geschichte noch ein Nachspiel für sie Monsieur Baptiste.“
Der Angesprochene dreht sich mit seinem Begleiter um. Ehe er etwas sagen kann, klicken die Handschellen.
Nicolas lächelt ihn gütig an.
„Wir haben hier unsere eigenen Spielregeln müssen sie wissen. Wir dulden hier keine Verbrecher.“
Adelina sitzt auf der Bank am Leuchtturm und schaut auf den Mann neben ihr.
„Antoine ist es nicht langsam Zeit um in See zu stechen.“
„Ach weißt du, irgendwann findet auch ein alter Fischer einmal seinen Hafen. Ich muss nicht mehr jeden Tag auf See. Lassen wir doch die jungen Leute ran. Was meinst du, Adelina?“
„Mein lieber Antoine, ich habe mich schon gefragt, ob du jemals zu Vernunft kommst. Weißt du, besser spät als nie.“
Er schaut sie lächelnd an.
„Wie geht die Geschichte jetzt weiter?“
Sie nimmt ihn in den Arm.
„Ganz einfach, wir machen weiter, wo wir einst aufgehört haben.“
Antoine lächelt erfreut.
„Du meinst, wir sollten auf unsere alten Tage in den Hafen der Ehe einlaufen?“
Adelina gibt ihm einen Kuss. Natürlich sollten sie! Was spricht schon dagegen? Nichts!


© Bernard Bonvivant

Sonntag, 15. März 2009

Ein Tag zu zweit allein

Zuweilen gibt es Träume, die gehen in Erfüllung. Einem Blitzschlag gleich schlägt das Glück mitten in das Herz hinein, es funkt und sprüht und auf einmal ist das Leben nicht mehr so, wie es bis zu diesem Augenblick war.

Seit dem Tod meiner Frau habe ich mich verkrochen. Das Leben war nie einfach für uns gewesen, irgendwo drückte uns immer eine Last. Einmal waren es die Finanzen, dann wieder unsere beiden Kinder. Das Leben der meisten Paare mit Nachwuchs, Haus und Hund dürfte wohl in vielen Punkten ähnlich verlaufen. Das es läuft wie am Schnürchen und immer eitel Sonnenschein herrscht, glaube ich nicht.
Es gibt nicht umsonst den Spruch: Unter jedem Dach ein Ach!
Irgendwann sind die Kinder groß, um endlich auf zwei eigenen Füssen zu laufen. Einige unserer Bekannten haben diesen Weg nicht gepackt, sie haben sich getrennt.
Wir hingegen glaubten endlich unsere Freiheit zu haben. Ich hatte es endlich geschafft als Autor meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Meine Frau hatte Erfolg als Malerin und sie schien glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.
Der Schein trug, nach einer ärztlichen Untersuchung stand fest, sie hatte Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium. Es bestand keine Chance mehr auf Gesundung.
An einem regnerischen Frühlingstag schloss sie die Augen für immer.
Die Beisetzung der Urne nahm ich eigentlich nicht wirklich wahr, es war für mich nicht fassbar.
In den nächsten Tagen und Wochen kapselte ich mich immer mehr vom Leben vor meiner Tür ab. Einige Monate später lebte ich wie ein Eremit und zwei Jahre nach ihrem Tod war ich selbst ein lebender Toter.
Es gab keinen Ausweg mehr aus dieser Isolation, die ich scheinbar um mich geschaffen hatte. In dieser Zeit arbeitete ich sozusagen Tag und Nacht. Ich schrieb in meiner Besessenheit zwei Bestseller und bekam es selber nicht einmal mit. Ich lehnte jegliche Öffentlichkeit ab, Interviews gab ich grundsätzlich keine mehr.
Wäre meine Tochter nicht gewesen, die mich mit Lebensmittel und Getränken versorgte, ich wäre wahrscheinlich an meinem Computer sitzend verstorben.
Claudia, hingegen sprach ständig auf mich ein. Ich solle doch endlich die Vergangenheit begraben.
Begraben? Wie begräbt man einen Menschen, der ständig noch anwesend ist?
Ja, meine Frau war ständig anwesend, im Atelier standen halbfertige Bilder herum und an unseren Wänden hingen überall ihre Werke, die noch nicht verkauft waren.
Jedes Bild hatte eine Geschichte und ich kannte sie. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre so ein Mensch, der eine Mülltonne holt und alles einfach entsorgt.
Kann ein Künstler einfach so Kunst entsorgen?
Ich, nicht!
So schleppte ich mich durch unser Haus und mit jedem neuen Tag wurden meine Schritte schwerer.
Irgendwann, ich weiß beim besten Willen nicht wann es genau war, beschloss ich mich nicht mehr von meinem Bett zu erheben. Ich aß nicht mehr und ich trank nicht mehr.
Tja und dann platzte Claudia wohl endgültig der Kragen, sie fragte mich nicht. Sie besorgte mir einen Platz in einer Privatklinik.
Dreimal darf geraten werden, welcher Typ Klinik dies war.
Genau! Eine vornehme und ebenso teuere Unterbringung für Durchgeknallte mit entsprechendem Vermögen.
Ich war schneller wieder auf den Beinen, als meine liebe Verwandtschaft glaubte. Meine Entlassung führte ich in einem Gespräch mit dem Chefarzt schnell herbei.
Meine Frau und ich hatten, noch kurz vor dem Ausbruch ihrer Krankheit einen Teil unseres Geldes, übrigens legal, in der Schweiz angelegt. Wir hatten nicht nur ein Bankkonto, sondern auch ein kleines Haus in den Bergen erworben.
Aus einem unerklärlichen Grund hatten wir diese Tatsache zu unserem persönlichen Geheimnis gemacht.

Ich packte zu Hause meine Koffer und reichte meiner verduzten Tochter zum Abschied die Hand.
„Pass auf das Haus auf, ich mache jetzt erst einmal einen langen Urlaub.“
„Urlaub? Du, machst Urlaub!“
„Claudia, mache dir wegen mir keine Sorgen, ich finde mich schon zurecht.“
„Papa, du bist doch unfähig allein zu sein. Du kommst in der Welt nicht mehr klar.“

Ich hörte ihr nicht mehr zu und warf meine Sachen in den Kofferraum meines Mercedes und fuhr los in die Schweiz.
Jeder Kilometer Autobahn machte mich ein Stück freier, ich bekam wieder richtig Luft und fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr in meinem Leben.
Ich hatte nicht einmal mehr Gewissensbisse, weder wegen meiner Tochter noch wegen meiner verstorbenen Frau.
Ich denke im nachhinein, auf dieser Fahrt habe ich sie endgültig begraben und losgelassen.
Jawohl, losgelassen, ich war es, der sie versuchte immer noch festzuhalten.
Abschied nehmen will gelernt sein und dazu gehört vor allem die Bereitschaft schnell loslassen zu können. Gestern ist nun einmal vorbei, es zählt das Heute und was die Zukunft bringt.
In der Schweiz hatte ich in den nächsten Wochen viel zu tun. Das Haus war leer.
Eigentlich normal, in ein Haus gehörten nun einmal Möbel. Ein Haus in den Bergen zu möblieren, bedeutet weite Wege fahren.
Das störte mich keineswegs, verbrachte ich die Zeit doch aus meiner Sicht sehr sinnvoll.
Ich machte mein Haus wohnlich und ich füllte die Vorratskammern. Das könnte durchaus mit dem Leben eines Eichhörnchens verglichen werden, welches beizeiten seinen Wintervorrat anlegt.
Wollte ich in den Bergen überwintern?
Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es war sogar möglich ich würde ganz in den Bergen bleiben.
Im Grunde war ich ein Eroberer, ein verwegener Abenteurer.
Das ich auch ein Greenhorn war, bekam ich wenige Tage später auf höchst unangenehme Weise zu spüren. Trotzdem hatte ich mehr Glück als Verstand.
In den Bergen war nun einmal nicht immer Sonnenschein, jeder wusste so etwas, nur ich in meinem Leichtsinn nicht.
Am Samstagmorgen schien noch die Sonne und ich war mit dem Wagen in das Tal gefahren um mich mit einigen frischen Lebensmitteln für das bevorstehende Wochenende einzudecken. Beim Bäcker kaufte ich Brot und einen Streuselkuchen, beim Metzger ein paar Steaks.
Auf dem Parkplatz spürte ich die ersten Regentropfen im Nacken. Natürlich habe ich mir dabei wenig gedacht.
Die Strasse hinauf zum Berg endete irgendwann und dann ging es auf einem besseren Feldweg weiter. Linkerhand lag die Hangseite hinab ins Tal und rechts führte es nach oben.
Ein Graben verlief entlang des Weges, er sollte wohl das Regenwasser auffangen.
Der Regen hatte deutlich zugelegt und die Scheibenwischer packten es kaum mehr das Wasser beiseite zu schieben.
Für die Bergwelt war mein Mercedes nicht geschaffen, ich würde hier einen Allradantrieb benötigen.
Während ich bereits die Anschaffung überlegte, regelte sich die Entscheidung von selbst. Mein schöner, alter Benz landete im Graben.
Ich hatte eine Kurve zu schnell angefahren und dann war der Wagen einfach ausgebrochen und mit dem Hinterteil im Graben gelandet.
Glücklicherweise stand der Wagen auf der rechten Seite im Graben und war nicht nach links ausgebrochen, Richtung talwärts.
Im strömenden Regen stand ich hinter meinem Wagen, um mir die Situation anzuschauen. Ohne fremde Hilfe war hier nichts mehr zu machen.
Verärgert stellte ich fest, nicht einmal einen Regenschirm hatte ich im Fahrzeug.
Oben am Berg sah ich ein Haus und dort gab es sicher ein Telefon und Hilfe. Telefon?
Ja, ich hatte ein Handy, leider mit einem leeren Akku und somit der Gebrauch, als Kommunikationsmittel, nicht mehr möglich.
Ich quälte mich den Berg hinauf. Mehrfach kam ich dank meiner Ledersohlen zu Fall.
Eine Unterscheidung zum Schwein war wahrscheinlich nur noch durch den aufrechten Gang möglich.
Total verdreckt stand ich vor der Eingangstür des Holzhauses und klopfte an.
Was wohl der Mensch denken musste der mir die Tür öffnet? Es war eine Frau und damit wurde mir meine Situation nur noch peinlicher.
Es verwunderte nicht sehr, sie konnte ein Lachen bei meinem Anblick nicht vermeiden.
Ich hingegen verzieh ihr schlagartig. Ihre Augen strahlten, ihre Gesichtszüge waren die einer reifen Frau. Überhaupt gefiel mir diese Frau auf den ersten Blick.
Natürlich lebte sie nicht allein, sie war sicher verheiratet. Welche Gedankengänge einem manchmal so einfach einfallen. Unmöglich, dachte ich in diesem Moment.
Mein Aussehen war mir schon peinlich genug. Dieser Anblick eines verdreckten und total durchnässten Mannes musste wahrlich nicht gerade den besten Eindruck hinterlassen.
Sie hingegen betrachtete mich ungeniert.
„Wollen Sie hier Wurzeln schlagen unter der Türschwelle?“
„Nein! Ich meine nur.“
„Jetzt kommen sie erst einmal in die gute Stube, dann werden wir schon weitersehen.“
Ich zog meine Schuhe aus und folgte ihr auf Strümpfen, während sie gleich einem Engel voranschwebte.
Mag sein, ich betrachtete zum ersten Mal nach langer Zeit wieder eine Frau mit den Augen eines Mannes.
Für sie war ich wohl eher ein dämlicher Tourist.
In ihrer guten Stube brannte der Kaminofen.
„Wieso haben sie schon den Ofen an?“
„Warum nicht? Die Nächte können um diese Jahreszeit bereits kalt werden.“
Dazu fiel mir ein sehr intelligenter Satz ein.
„Ich habe noch gar nicht mit Brennholz vorgesorgt.“
„Haben Sie eine Hütte hier oben in den Bergen?“
„Ja! Nicht weit von der Ihrigen. Ich habe dieses Haus jetzt zum ersten Mal entdeckt.“
„Wollen Sie nicht endlich ihre Sachen ausziehen?“
„Meine Sachen!“
„Sie holen sich eine Lungenentzündung in den nassen Kleidern. Also, runter damit.“
„Ich kann mich doch nicht ausziehen! Meinen Sie, etwa ganz, also wirklich alles?“
„Ja, was denken Sie sich eigentlich. Natürlich alles! Ich werde ihnen frische Sachen geben von meinem verstorbenen Vater.“
Sie handelte vollkommen richtig, ich wusste auch, so konnte ich nicht herumlaufen.
Ich war gerade damit beschäftigt mich meiner Kleidung zu entledigen, da flog durch die Tür trockene Kleidung herein.
Nackt wie Gott mich erschaffen hatte, stand ich vor dem Kachelofen und mir wurde warm.
Die Kleidung gefiel mir hingegen weniger. Die Unterwäsche war etwas zu eng, die Strümpfe ellenlang. Die Gemeinheit aber war, eine zu kurzgeratene Oberbekleidung.
Die Hemdärmel waren zu kurz, die Knöpfe mussten geöffnet bleiben, damit das Hemd überhaupt anzuziehen war. Die Katastrophe war die Hose, der Ausdruck Hochwasser, war an der Stelle eine niedliche Umschreibung der Tatsachen. Der liebe Gott hatte wohl ein Einsehen mit mir, wenigstens der Gürtel war groß genug um die Hose bequem, zugegeben den Reißverschluss des Hosenschlitzes halb offen, oben zu halten.
Wie sah ich wohl aus, leider gab es keinen Spiegel in dem Raum, ich wäre sicher vor Scham durch die Holzdielen versunken.
Dieses sah die Frau ganz anders. Sie lächelte mich, unter dem Türrahmen stehend, freundlich und zuvorkommend an.
Ich spürte richtig wie sich eine gewisse Röte auf mein Gesicht legte.
Viel schwerer wog für mich die Erkenntnis, ich fühlte mich von dieser Frau magisch angezogen.
Wie konnte so etwas sein? Was passierte mit mir?
„Sie sehen jetzt aus wie ein lustiges Männlein.“
Ich nickte, selber wissend, wie komisch ich aussah.
„Ich kann nach Hause gehen und mich umziehen.“
Sie hob den Zeigefinger zum Tadel an.
„Oh nein! Sie bleiben schön hier. Es gießt in Strömen und es wird wohl auch nicht besser werden an diesem heutigen Samstag. Wir werden wohl das Beste aus unserer Situation machen müssen.“
Ich schluckte, ein Tag zu zweit allein, wie würden diese Stunden wohl verlaufen.
„Ich habe in meinem Wagen Brot, Streuselkuchen und Steaks. Im Kofferraum muss noch eine Kiste Rotwein liegen. Ich könnte... .“
„Sie können gar nichts, sie bleiben hier. Ich stelle fest, ein Steak ist verlockend, ich habe hier oben noch nie ein Steak gegessen. Ich kann mit Kuhmilch und Käse aufwarten. Gut!
Ich gehe an den Wagen und bringe die Sachen hoch.“
Ich schaute sie verlegen an.
„Sie werden auch noch naß!“
„Im Gegensatz zu ihnen bin ich ein Kind der Berge. Hier droben gibt es kein schlechtes Wetter, allenfalls schlechte Kleidung und Menschen die hier nicht her gehören. So einer wie Sie!“
„Danke für die Blumen.“
„Das meine ich mit vollem Ernst! Sie latschen hier rum wie in der Großstadt. Kein passendes Schuhwerk und keine passende Kleidung. Nicht einmal einen Regenschirm hat der Herr von Welt dabei. Ich will auch nicht wissen mit welchem untauglichen Fahrzeug sie unterwegs sind, wahrscheinlich haben sie auch noch abgefahrene Reifen.“
Sie stellte sich vor mich hin und streckte die Hand aus.
„Die Autoschlüssel, bitte.“
Autoschlüssel? Wo hatte ich meine Schlüssel hingelegt? Ach ja, in der nassen Jackentasche. Ich zeigte auf die Kleider. In der rechten Außentasche meiner Jacke. Die Frau ging zur Jacke zog den Schlüsselbund hervor, drehte sich um und verließ den Raum und das Haus.
Ich wurde das Gefühl nicht los, diese Frau sollte vielleicht mein Schicksal sein. Die Wende hin zu einem neuen Leben.
Obschon, in meinem Gehirn mehrten sich im Moment die Fragen.
Ich ging zum Fenster und blickte der Person nach. Sie war auf jeden Fall für dieses Wetter gekleidet, keine Frage.
Keine Sekunde ließ ich sie aus den Augen, sah ihr zu, wie sie sich mit dem Proviant aus meinem Wagen geschickt den Berg hinauf bewegte. Im Gegensatz zu meinem Aufstieg als Großstadtdepp, machte sie ihre Sache mit Stil.
Ich war von ihr angetan und sie erschien mir vor meinem innerlichen Auge als gute Fee, als Prinzessin aus einem wunderschönen Traumland.
Träumen am helllichten Tag?
Mein Ausflug in das Land der Träume endete jäh. Eine zarte Frauenhand berührte meine Stirn und rief mich zurück auf den Dielenboden.
Ich sah in ihre Augen und am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen, ihr einen Kuss gegeben.
Stattdessen pure Ernüchterung.
„Sie haben auf meine Worte nicht reagiert, ich musste fühlen ob sie Fieber haben.“
Aus ihrem Gesicht empfing mich bei diesen Worten, das schönste Strahlen auf Erden und ich hob bereits ab zu einem neuen Flug auf Wolke sieben.
„Sie sollten hier unten bleiben, sonst stoßen sie sich noch den Kopf an. Sind sie ein Träumer?“
„Nein, ich bin ein Autor.“
„Wie heißen Sie?“
„Sie werden mich sicher nicht kennen. Ich heiße Wolfgang Bellinghausen.“
„Mein Gott, sie sind der Bellinghausen, der die Geschichte von seiner todkranken Frau geschrieben hat?“
„Woher wissen sie von meiner Frau?“
„Ja leben sie den hinter dem Mond, das ist doch ein Bestseller. Das Buch wird doch gerade verfilmt.“
„Das Buch muss ich wohl in einem anderen Leben geschrieben habe. Ich versuche gerade meinen Lebensweg neu auszurichten.“
„Sie sollen angeblich ein komischer Kauz sein, schreiben zumindest die Zeitungen.“
„Haben Sie auch einen Namen?“
„Lenken Sie, immer vom Thema ab. Ich bin die Heidelinde
Wachsneer, die Tochter vom alten Herbert Wachsneer. Der Herr habe ihn selig.“
„Darf ich sie Heidelinde nennen?“
„Sie dürfen mich Heidi rufen, wenn ich sie im Gegenzug Wolfgang nennen darf.“
„Selbstverständlich, ich bin froh wieder meinen Vornamen zu hören.“
„Das hört sich aus deinem Mund merkwürdig an. Deine Frau ist doch gestorben und nicht du.“
„Heidi, ich war ein lebender Toter, gefangen in einem Meer der Vergangenheit. Erschlagen von jedem Tritt und Augenblick in meinem Haus, ständig und überall, von der Gegenwart meiner toten Frau. Ich war nicht fähig loszulassen.“
Heidi sah mich erstaunt an.
„Glaubst du wirklich, du bist frei? Frei, für eine neue Beziehung.“
„Ja! Ich bin endlich frei, mein Leben gehört wieder mir.“
„Wie steht es mit dir, Heidi?“
„Mit mir? Ich lebe schon lange in der Einsamkeit. Meine Mutter ist früh gestorben, für ein Mädel in den Bergen, gibt es nichts schlechteres. Du musst von einem Tag auf den anderen, erwachsen werden. Diese Bürde drückt ganz schön, du wirst als vollwertige Kraft angesehen, obwohl du noch ein Kind bist. Mein Vater hat mich machen lassen. Nachdem Tod der Mutter war ihm sowieso alles egal. Ich war die treibende Kraft, sonst wäre unser Hof unten im Tal und das hier droben, längst unter dem Hammer gelandet.“
„Wenn du unten einen Hof hast, warum lebst du hier oben?“
„Ich habe alles verkauft im Tal, ich habe richtig viel Geld dafür bekommen. Ich habe keine Geldsorgen und genieße endlich das Leben so gut es geht.“
„Wie steht es mit den Männern?“
„Ah geh! Männer! Weißt du, wie sie mitgekriegt haben, dass ich eine vermögende Frau bin, haben sie mir die Tür eingerannt. Die jungen wie die alten Deppen, als wenn ich zu blöde wäre, zu wissen was sie wirklich von mir wollten. Ich hätte schon gern eine Beziehung, nur der Mann müsste mich auch wirklich wollen und nicht das Geld.“
Ich saß am Küchentisch und hörte ihr zu, alle ihre Worte waren für mich wie ein Segen.
Wir aßen zusammen am Tisch und tranken von dem guten Rotwein.
Ich war immer der Meinung vertrauen wächst nur langsam, an jenem Samstag war ich mir da nicht mehr so sicher.
Jede Minute und jeder Blick führte uns einander näher. Zum ersten Mal hatte ich wieder das Gefühl einen Menschen getroffen zu haben, mit dem ich eins sein könnte.
In meinen Gedanken, in meiner Liebe und sogar in der Umarmung.
Am späten Nachmittag waren wir wohl beide soweit, wir küssten uns ungeniert. Ich spürte in mir das große Glück und diese unbeschreibliche schöne Leichtigkeit der Verliebtheit.
Ich begann also doch wieder den Weg in ein normales Leben zu finden.
Zu später Stunde saßen wir am Kachelofen und scherzten miteinander. Unsere Hände berührten sich rein zufällig und wir ließen gegenseitig erste Liebkosungen zu. Streichelten uns gegenseitig, rochen die Haut des Anderen und inhalierten den Duft wie ein edles Parfüm.
Viel später spielte ich mit ihren langen Haaren und wir küssten uns stürmisch und innig.
Wir spürten nicht wie die Zeit verging, für uns war sie einfach stehen geblieben. Wir bewegten uns irgendwo zwischen Nacht und Tag.
Im ersten zarten Lichtschein des kommenden Sonntagmorgens stand Heidi am Fenster und blickte hinab in das ferne Tal. Leise sagte sie verträumt.
„Ein Tag zu zweit allein.“
Das war als hätte sie mich wachgeküsst. In meinen Gedanken formten sich die Worte zu Sätzen, um gleich wieder eingestampft zu werden.
Wie sollte ich meine Liebe gestehen, den Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft?
Vielleicht ergriff sie, wie das Wild, die Flucht.
Heidi hauchte hingegen die Worte erneut in den heranbrechenden Tag hinein.
„Ein Tag zu zweit allein.“
Ich vergaß alle meine Bedenken und Ängste und stand auf.
Meine Beine trugen mich zu ihr an das Fenster und ich nahm sie zärtlich in den Arm. Unsere Lippen trafen sich zu einem endlos langen Kuss.
Dann erst fand ich die passenden Worte.
„Mein Schatz, wenn du willst: Ein Tag zu zweit allein. Das kannst du von mir immer haben.“
Sie legte ihren Finger auf meine Lippen.
„Mache nicht alles kaputt, du Stadtmensch. Wetten du hast mich am Nachmittag schon wieder vergessen.“
„Nein! Ich bleibe hier bei dir und zwar für immer. Wir lassen es langsam angehen, ich wohne in meiner Hütte und wir sehen uns jeden Tag.“
Auf Heidis Gesicht lag ein zartes Lachen, fast amüsiert meinte sie zu diesem Vorschlag.
„So habe ich mir das nicht gedacht. Wenn ich einen Mann abkriege, dann richtig oder gar nicht. Halbe Sachen sind verlorene Sachen. Am Ende will ich noch bemerken: Ein Tag zu zweit allein, sieht für mich eben nach Zweisamkeit aus. Allein war ich lange genug in meinem Leben.“
Was sollte ich darauf entgegen, sie sprach doch eigentlich die selbe Sprache wie ich.
Wir haben keine halben Sachen gemacht, bei uns hat es so richtig gefunkt und geglüht. Wir haben uns verwandelt in verliebte Teenager, trotz oder gerade wegen unseres Alters.
Ich lebe endlich wieder. Jeden Tag den ich an der Seite dieser Frau erwache, wird mir bewusst welch großes Geschenk die Liebe eines Menschen ist. Es ist schön zu zweit allein zu sein, jeden Tag auf ein Neues.


© Bernard Bonvivant, 2008/2009
Autor des Romans « Das Chaos »